Ein Kommentar von Matthias Beermann:
Das Massaker in Norwegen macht fassungslos, ähnlich wie schon so
viele andere blutige Attentate der vergangenen Jahre. Doch dieses Mal
scheint die Tat noch abscheulicher, noch entsetzlicher, noch
unbegreiflicher. Immer mehr wird deutlich, dass das wahre Ziel des
Attentäters Jugendliche waren, die sich über ihre Ferien auf einer
idyllischen Insel freuten. Es waren junge Menschen, die sich
politisch engagieren wollten, für andere Menschen, für ihr Land, für
eine bessere Zukunft. Und die genau aus diesem Grund erbarmungslos
abgeschlachtet wurden. „Abgeschlachtet“ – es kann kein anderes Wort
für diese menschenverachtende Bestialität geben. Und das ist der
zweite Punkt, der das Doppel-Attentat von Norwegen so unerträglich
macht: Der Täter kam aus der Mitte der Gesellschaft. Kein
zottelbärtiger Islamist, sondern ein netter Junge von nebenan, mit
guter Bildung und guten Manieren. Ein blonder und blauäugiger
Massenmörder. Wie kommt so einer dazu, ein Blutbad anzurichten?
Ausgerechnet in einem reichen Land wie Norwegen, wo der Mythos vom
selig machenden Sozialstaat skandinavischer Prägung noch am ehesten
überlebt hat. In einem Land, das sich immer als vorbildlich
verstanden hat. Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage wird die
Norweger noch lange quälen. Die andere – bange – Frage müssen wir uns
alle stellen: Was lässt sich noch tun zu unserem Schutz, wenn schon
ein Einzelner zu solcher Vernichtung in der Lage ist? Das ehrliche
Eingeständnis lautet: Nicht viel, wenn wir nicht unsere auf dem
Grundgedanken der Freiheit aufgebauten Gesellschaften aus blinder
Terror-Angst heraus in quasi-totalitäre Überwachungsstaaten
verwandeln wollen. Denn dies ist der kleinste gemeinsame Nenner, die
wahre Triebfeder aller Terroristen, ob sie nun als selbst ernannte
islamische Gotteskrieger morden oder als rechtsextreme Psychopathen:
Sie handeln aus Hass gegen die offenen Gesellschaften, deren
angebliche Verderbtheit sie anprangern und deren vermeintlichen
Verrat an höheren Werten sie blutig rächen wollen. Sie wollen uns
ihren Willen aufzwingen. Gewiss, Attentate wie diese gehen nicht
spurlos an uns vorüber. Es wird schärfere Sicherheitsvorkehrungen
geben. Man wird ein wachsameres Auge auf das Treiben im Internet
werfen müssen. Und es muss auch eine Diskussion darüber geben,
inwieweit die in den letzten Jahren gerade in der skandinavischen
Politik zunehmend salonfähig gewordenen fremdenfeindlichen Parolen
nicht den ideologischen Nährboden für Schlimmeres bereitet haben.
Norwegen wird sich verändern, das ist unvermeidlich. Aber die
Norweger – und mit ihnen wir alle – dürfen nicht unsere
Unbeschwertheit verlieren. Die Furcht darf nicht stärker werden als
der Glauben an die Freiheit. Diesen wohl wichtigsten unter den
Werten, die wir „westlich“ nennen, müssen wir entschlossen
verteidigen. Jetzt erst recht.
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