Sigmund Freud nannte es die Schicksalsfrage der
Menschheit, ob wir es schaffen, dem menschlichen Aggressionstrieb
Herr zu werden. Der Zorn und die Verachtung, die den Medien wegen
ihrer Berichterstattung zum Todesflug 4U 9525 vor allem im Internet
entgegenschlagen, dürfte Freuds These stützen. Nur Stunden nach der
Tragödie in den Alpen schlug die Trauer über die Opfer in Hass gegen
Journalisten um. Ohnmacht und Wut sind Zwillinge. Machen wir weiter
wie bisher? Nein. Medien schaffen nicht nur Öffentlichkeit. Sie
müssen ihre Rolle auch rechtfertigen. Das Sofort-Feedback der Massen
im Netz tut weh, aber oft auch gut. Selbstkritik gehörte lange nicht
zum Rollenverständnis eines selbstbewussten Leitartiklers. Das
Glaskinn dafür schon. Also gut, hinterfragen wir uns! Nur: Wie
berichtet man angemessen über ein in seiner Dimension bisher
unbekanntes Ereignis? Zunächst: Das muss jedes Medium für sich
entscheiden. Wir maßen uns nicht an, die Diskussionen bei der
„Tagesschau“, dem „Spiegel“ oder der „Bild“ zu bewerten. Wir können
nur für uns sprechen und sagen: Wir berichten, was ist. Tod, Leid,
Trauer und der wahrscheinliche Massen- und Selbstmord eines Copiloten
– das ist die Handlung dieser Tragödie, sie bildet den Kern unserer
Berichte. Nur weil wir im Wortsinn über eine Sensation berichten,
nämlich ein aufsehenerregendes Ereignis, ist es noch lange kein
Sensationsjournalismus. Die Realität ist nicht nur in diesem Fall
dramatischer als jede Reporter-Zuspitzung. Was wir gewährleisten
sollten, ist Sorgfalt und Respekt. Frühe Spekulationen über
technische Fehler des Airbus verbieten sich, wenn keinerlei Indizien
dies nahelegen. Eine kritische Betrachtung der Einstellungstests der
Airlines ist aber notwendig, wenn Ermittler von einer psychischen
Erkrankung des Copiloten sprechen. Glaubwürdigkeit bleibt gerade im
Dauerfeuer der elektronischen Eilmeldungen das höchste Gut des
Journalismus. Deshalb diskutieren wir bei jedem Foto, bei jeder
Nachricht, bei jeder noch so kleinen Information: Kann das stimmen?
Können wir das schon veröffentlichen? Trägt das Bild zum Verständnis
des Unfassbaren bei oder ist es bloß voyeuristisch? Wir wägen ab, wir
ringen mit uns. Eine tägliche Herkulesaufgabe. Sie gelingt sicher
nicht immer. Zwischen den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen,
ihrem Wunsch nach Ruhe, und dem Informationsauftrag der Medien liegt
eine Grauzone. Wir zeigen Fotos von Trauernden am Flughafen, weil sie
die Dimension der Betroffenheit widerspiegeln. Diese Bilder sind
Chronistenpflicht. Aber wir verschleiern mit technischen Mitteln die
Identität der Menschen. Wir priorisieren die Geschichten der Opfer
aus der Region, weil gerade sie uns und die Leser berühren, weil sie
das Abstrakte fassbar machen. Weil Nähe eben zu Betroffenheit führt.
Das war schon immer so. Und ja, als die französischen Ermittler und
die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft erklärten, der Copilot habe den
Sinkflug absichtlich eingeleitet, gehörte auch die Motivforschung zu
unserem Auftrag. Wir haben uns aber gegen die Identifizierung des
Copiloten entschieden, weil seine Alleinschuld noch nicht
abschließend geklärt ist und Menschen, die denselben Namen tragen wie
L., diesen Schutz verlangen können. Wenn in ein paar Tagen oder
Wochen der Fall geklärt und Andreas L. vielleicht als suizidaler
Massenmörder in die Geschichte eingehen wird, mag der Name die
zweifelhafte historische Bedeutung erlangen wie die Namen Robert
Steinhäuser und Anders Breivik. Das wäre früh genug. Es ist auch kein
Argument, dass andere Medien den Namen nennen oder er tausendfach im
Internet zu lesen ist. Wir bestimmen allein unser Handeln. Was in den
französischen Alpen passierte, ist nicht nur einmalig in der
Geschichte der deutschen Luftfahrt. Es ist einmalig in der Dimension,
die wir zu erklären versuchen. Einmalig in der Grausamkeit. Einmalig
aber auch für uns, die Berichterstatter. Fehler sind deshalb
wahrscheinlich. Wir werden weiterhin versuchen, sie zu vermeiden.
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