Rheinische Post: Die SPD in der Sarrazin-Falle

Ein Kommentar von Gregor Mayntz:

Die SPD schafft sich ab. Die gute alte deutsche Sozialdemokratie
fährt inzwischen bei fast jeder Landtagswahl historische Tiefststände
ein. Wenn die Genossen an Wahlabenden bei Verlusten von bis zu zehn
Prozent jubelnd die Arme hochreißen, dann sind sie ein Fall für die
Psychologie, Abteilung Wahrnehmungsstörung. Ergänzt wird dieses Bild
bei den Inhalten sozialdemokratischer Politik in der Abteilung
Schizophrenie. Etwa, wenn sie dafür ist, den umstrittenen Bahnhof
Stuttgart 21 zu bauen, und ihn gleichzeitig durch eine nachgeholte
Volksabstimmung infrage stellt. Oder wenn sie stolz sein will auf die
Arbeitsplätze schaffende „Agenda 2010“ und sie gleichzeitig massiv
unter ihrer eigenen Agenda-Politik leidet und sich am liebsten davon
distanziert. Und jetzt die Sarrazin-Falle. Parteichef Sigmar Gabriel
gefiel sich darin, das populäre und auch von SPD-Stammwählern
verschlungene Buch in Grund und Boden zu verdammen. Wer Sarrazins
Botschaft innerhalb der SPD dulde, der fordere die Aufgabe all
dessen, was die SPD ausmache. Nun muss Gabriel erklären, warum die
SPD Sarrazin als Mitglied duldet, sich selbst aber entgegen der
Ankündigung doch nicht aufgibt. Dass Gabriel jetzt die
Sarrazin-Kritiker auf den Baum und aus der Partei treibt, hat er sich
selbst zuzuschreiben. Ebenso wie die neue Frage, wofür die SPD denn
nun steht.

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