Ein Kommentar von Sven Gösmann:
Mit dem vorläufigen Stopp für einen „geheim tagenden“
Unterausschuss des Bundestages hat das Bundesverfassungsgericht der
Politik erneut eine Lektion erteilt. Das ist gut so. Wenn sich alle
von gesichtslosen Finanzmärkten treiben lassen, braucht es eine
Kraft, die die Dinge wägt. Im Handstreichverfahren parlamentarische
Regeln außer Kraft zu setzen, um Entscheidungen zu beschleunigen –
dieser von der Bundesregierung beschrittene Weg führt in die Irre.
Den Bundestag in seiner Gesamtheit, dessen vornehmstes Recht das
Haushaltsrecht ist, bei milliardenschweren Entscheidungen über den
Rettungsschirm außen vor zu lassen, wäre ein fataler Schritt zur
Entlegitimierung von Regierungshandeln. Längst sind die untrennbar
miteinander verknüpften Krisen der Staatsschulden, der Banken und des
Euro Demokratie gefährdend. Das stete Gezerre um Mandate des
Bundestages für Europas letzte Führungskraft, die Kanzlerin, mag bis
zum Kontrollverlust an den Nerven der Verantwortlichen zehren – es
ist jedoch alternativlos, um einen häufig missbrauchten Begriff
passend zu verwenden. Der zersetzende Vertrauensverlust in
politisches Handeln hat die Stammtische verlassen und auch die
vornehmen Karlsruher Richterstuben erreicht. Die gestrige
Entscheidung steht in einer Reihe warnender Hinweise der Richter an
die Exekutive, die durch das Grundgesetz definierte
nationalstaatliche Verantwortung nicht weiter einzuschränken.
Verfassungsgerichtspräsident Vosskuhle hat darauf hingewiesen, dass
es eine Art „roter Linie“ gebe, hinter der Karlsruhe zu einer
Neubewertung der Berliner Politik kommen müsste. Sogar die
Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die per Volksentscheid bestätigt
werden müsste, steht in Rede. Der aus Lippe stammende Vosskuhle
verziert seine Reden anders als seine Vorgänger nicht mit
intellektuellen Girlanden, vielleicht ging seine Ansprache beim
Bonner Festakt zum 3. Oktober deswegen in der öffentlichen
Wahrnehmung unter. In ihr verwies er darauf, dass es sich bei der
Europäischen Union um eine Rechtsgemeinschaft handele. Er warnte
davor, in der Krise die Idee der Rechtsgemeinschaft durch die einer
politischen Gemeinschaft zu ersetzen. Das Recht setze der Politik
Grenzen, mahnte er die eifrigen Verfechter der „Vereinigten Staaten
von Europa“, die es vor allem in der Union gibt. Vosskuhle, dem
Vernehmen nach ermuntert von Tausenden Zuschriften aus der
Bevölkerung, weiß sich offenbar auch im Einklang mit anderen
Verfassungsorganen wie dem Bundespräsidenten und dem
Bundestagspräsidenten. Die christlich-liberale Koalition und manche
ihrer europapolitischen Unterstützer in den Reihen von Rot-Grün
nehmen Vosskuhles Bedenken als Hemmnis wahr. Hier ist ein Umdenken
erforderlich. Es war Gedankenlosigkeit im Geschwindigkeitsrausch, die
in die Krise führte. Nur Besonnenheit wird aus ihr heraus führen.
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