Von Horst Thoren
Der evangelische Theologe und Bundespräsident Joachim Gauck und
das Oberhaupt der Katholiken, Papst Benedikt XVI., sind als
moralische Instanzen allgemein anerkannt. Womöglich gerade deshalb,
weil sie, statt sich „unfehlbar“ zu geben, die Größe haben, ihre
Fehlerhaftigkeit einzugestehen. Beide bemühen sich, den Menschen
demütig und in Augenhöhe zu begegnen – auf sie zuzugehen. Symbolisch
„twittert“ der Heilige Vater seine Mission sogar an viele Millionen
„User“. Der pastoral geschulte Präsident reist durch die Lande – als
Mahner und Prophet der Freiheit. Was die beiden großen Männer
verbindet, ist ihr fester Glaube an Gott. Den leben sie – und machen
ihn erlebbar. Als „frohe Botschafter“ in düsteren Zeiten stärken sie
somit den Glauben an das Gute in dieser Welt und erweitern damit den
auf Krisen fixierten Blick in Richtung Hoffnung. Wie sehr die
Menschen Trost im Mystischen suchen, wird in der Weihnacht offenbar:
Von den gut 50 Millionen Getauften in Deutschland zieht es die
Mehrheit in die Kirchen. Diese „Weihnachts-Christen“ kommen alle
Jahre wieder. Die wenigen gemeindetreuen Kirchgänger müssen in dieser
Nacht um ihren Stammplatz fürchten. Sie sehen sich konfrontiert mit
der Schar der Menschen, die ins Gotteshaus drängen, „weil Weihnachten
ist“ und für sie der Gottesdienst zum festlichen Ablauf gehört – wie
Tannenbaum, Geschenke und Lichterglanz. Manch ein Alltagschrist wird
den ungewöhnlichen Andrang (bis zu fünfmal so viele Besucher wie an
normalen Sonntagen) als Zumutung empfinden. Dieser Andrang schafft
aber auch Nähe – und ungewohntes Wir-Gefühl. In einer Gesellschaft,
in der Glaubensangelegenheiten zur Privatsache geworden sind und
soziale Netzwerke den persönlichen Kontakt zu ersetzen drohen, halten
die Gläubigen auch in der Kirchenbank vorsichtig Distanz – die Lücke
zum Nächsten wird zur Gewohnheit. Heute Abend wird es diese Lücke
nicht geben! Wer sich an Heiligabend zu spät auf den Weg macht, muss
gar damit rechnen, keinen Platz zu finden – da herrscht drangvolle
Enge im Gotteshaus. Alle müssen zusammenrücken – auch wenn es manchem
zunächst unangenehm sein mag, dem (unbekannten) Nachbarn die Hand zu
reichen. Sich gegenseitig in dieser Umgebung ein „Frohes Fest“ zu
wünschen, kann aber auch für einen warmen Moment die Idee eines
Miteinanders aufflackern lassen. Gemeinsam die traditionellen Lieder
zu singen („Stille Nacht . . . !“), kann für manchen ein erster
kleiner Schritt auf dem Weg (zurück) zur Glaubensgemeinschaft sein,
wie Kirche sie eigentlich meint. Gemeinschaft und Tradition bestimmen
das Wesen der Kirche. Sie sind nicht Selbstzweck, sondern sorgen
dafür, dass Glaubensüberzeugungen über viele Generationen erprobt und
geschärft werden. Insoweit hat die Feier der traditionellen Weihnacht
in sich selbst eine tiefe Würde. Weil sie uns inmitten aller
Vergänglichkeit immer wieder zur Besinnung einlädt, an den Ursprung
des Glaubens zurückführt und Beständigkeit anmahnt. Eine seit vielen
Jahrhunderten sich wiederholende, unaufdringliche Erinnerung an
Gottes unmittelbare Nähe – sinnbildlich spürbar in Liturgie, Gesang
und Gebet zu Christi Geburt. Eine Glaubensübung, die auch im
nachklingenden Alltag psychisch stabilisierend wirken kann, in
Stunden der Resignation und Verzweiflung. Wer an einen liebenden
Vater Gott glaubt, ist innerlich gestärkt und gibt sich nicht so
schnell den Anfeindungen des Lebens geschlagen. Ob der eifrig
praktizierende Gläubige darüber hinaus nun tatsächlich statistische
6,6 Jahre länger lebt als sein atheistischer Mitmensch (wie eine
US-amerikanische Studie behauptet), sei dahingestellt. Aber es ist
gar nicht so abwegig, die Verknüpfung von seelischer und physischer
Stabilität so eng zu sehen! Ein ermunternder Gedanke, der zum
weihnachtlichen „Oh, Du fröhliche!“ passt! Genießen wir heute also
das Gedränge an der Krippe! Und wünschen wir allen Mit-Suchenden
frohe und gesegnete Weihnachten!
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