Ein Kommentar von Martin Kessler:
Deutschlands beliebtester Politiker ist nicht mehr Minister. Die
vor einigen Wochen noch undenkbare Lage ist eingetreten. Das
politische Berlin muss ohne seinen Superstar zu Guttenberg auskommen.
Was nun kommt, ist ungewiss. Trotz des Vakuums, das der
Ausnahmepolitiker hinterlässt, war der Rücktritt zu Guttenbergs
konsequent. Er kam eher zu spät. Schon als klar wurde, dass der
CSU-Politiker große Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben hatte,
hätte er sein Amt abgeben müssen. Ein Plagiat ist eben kein
Kavaliersdelikt. Und im Umgang mit der Affäre, die im Verhältnis zu
den toten Soldaten in Afghanistan tatsächlich eher das Format einer
Fußnote annahm, zeigte zu Guttenberg wenig Gespür. Zu Fall gebracht
hat den Verteidigungsminister zweierlei. Zum einen der Aufstand der
Wissenschaft. Sie fühlte sich, obwohl sonst von der Politik gern
verhätschelt, nun plötzlich als zweitrangiger Gesellschaftsbereich.
Der Doktortitel als reines Blendwerk im eitlen Politikbetrieb – das
ging den Doktoren und Professoren an den vielen Lehrstühlen und
Instituten doch zu weit. Sie wagten nach dem erfolgreichen Memorandum
der Atomwissenschaftler gegen die nukleare Bewaffnung der
Bundesrepublik (im Jahr 1957) den bislang einzigen Massenprotest der
Zunft gegen die Politik. Allein hätte das nicht ausgereicht. Der
Rückhalt für zu Guttenberg schwand auch in den eigenen Reihen. Hinter
vorgehaltener Hand stimmten etliche in der Unionsfraktion dem
Ausspruch des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) zu, der die
Plagiats-Affäre als „Sargnagel für die Glaubwürdigkeit der
Demokratie“ bezeichnete. Spätestens, als sich Forschungsministerin
Annette Schavan (CDU) öffentlich für zu Guttenberg zu schämen begann,
musste es dem deutschen Lieblingspolitiker dämmern, dass sich trotz
der Unterstützung der Kanzlerin der Wind gegen ihn gedreht hatte. Am
Ende ist der CSU-Politiker, wie stets in solchen Fällen, am
mangelnden Rückhalt in den eigenen Reihen gescheitert. Vielleicht
bringt es Merkel bei vielen in der zu Guttenberg wohl gesonnenen
Bevölkerung Pluspunkte ein, dass sie lange an ihm festhielt. Als
Machtpolitikerin zeigte sie sich erst, als die Affäre Züge annahm,
die ihrer eigenen Reputation schadeten. Am Ende war es der Baron, der
die Kanzlerin anrief. Ob der Rücktritt die baldigen Wahlen in
Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt beeinflusst,
ist offen. Es war der letzte Zeitpunkt, einen solch schweren Schritt
zu vollziehen, ohne in die heiße Phase der Wahlkämpfe zu geraten.
Doch zu Guttenberg ist gerade im wohlhabenden Süden der Republik sehr
beliebt. Nun könnten viele bürgerliche Wähler zu Hause bleiben und
Merkel ein ähnliches Desaster bereiten wie bei der Wahl in
Nordrhein-Westfalen im Mai des vergangenen Jahres. Mit zu Guttenberg
verlässt jedenfalls das derzeit größte Talent der deutschen Politik
die öffentliche Bühne. Es dürfte schwierig sein, ihn zu ersetzen. Am
ehesten könnte Merkels Allzweckwaffe Thomas de Maizière sein Amt
ausfüllen. In der CSU ist weit und breit keine Persönlichkeit zu
sehen, die ihm in puncto Ausstrahlung, Rhetorik oder Geschick das
Wasser reichen könnte. Das ist die Tragik der Berliner Republik, die
in diesen Tagen nicht reich an Hoffnungsträgern gesegnet ist. Keiner
ist unersetzlich. Und wer gefehlt hat, muss die Konsequenzen tragen.
Die Frage ist aber, ob die Karriere zu Guttenbergs jäh beendet oder
nur jäh unterbrochen wurde. Der Mann ist 39 Jahre alt. Selbst wenn er
für einige Zeit die politische Bühne verlässt, ist er für spätere
Aufgaben immer noch recht jung. Vielleicht ist die Auszeit für ein
Ausnahmetalent wie zu Guttenberg auch eine Chance, den eigenen
Lebensweg zu ordnen, Blendwerk von echter Substanz zu trennen und
sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. So mancher ungestüme
Jung-Politiker ist erst in der Niederlage zu einem politischen
Schwergewicht gereift. Er wäre auch nicht der erste in der CSU.
Verteidigungsminister Franz Josef Strauß hat in der „Spiegel“-Affäre
rechtswidrig gehandelt und musste gehen. Später, als Finanzminister,
CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, ist er noch einmal zu
Hochform aufgelaufen und hat die Bundesrepublik entscheidend
mitgeprägt. Nur Kanzler ist er nicht geworden, er war nicht
mehrheitsfähig. Das unterscheidet ihn von zu Guttenberg. Der könnte
im Falle eines Comebacks eine Mehrheit organisieren.
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