Rheinische Post: Kiel und die Dritte Gewalt

Wenn wie jetzt in Schleswig-Holstein die Dritte
Gewalt der Ersten befiehlt, sich in spätestens zwei Jahren, zur
Hälfte der Legislaturperiode, aufzulösen, ist das ein fundamentaler
Vorgang, der weit über das nördlichste Bundesland hinausweist und
staatsrechtlich problematisch erscheint. Der Grundsatz von „judicial
self restraint“, von höchstrichterlicher Selbstbeschränkung, ist
berührt, wenn dem Kieler Parlament, das wie der Bundestag kein
gesetzliches Recht zur Selbstauflösung kennt, eben dies von sieben
Landesverfassungsrichtern oktroyiert wird. Sie hätten besser daran
getan, dem Gesetzgeber aufzutragen, ein verfassungsgemäßes Wahlrecht
zu schaffen, das dann für die reguläre Wahl 2014 gegolten hätte. Zur
anderen Seite der Medaille gehört der nun evident gewordene,
gravierende Verstoß des Kieler Gesetzgebers gegen das
Verfassungsprinzip der gleichen Wahl. Hier gab es im Hohen Haus an
der Förde offensichtlich rechtspolitisches Versagen. Das nutzte bei
der Landtagswahl Ende September 2009 Schwarz-Gelb, und es schadete
der Opposition. Bürgern, die ohnehin ihr „Die-können-es-nicht“-Urteil
beziehungsweise -Vorurteil über die Politik pflegen, wird ein Grund
mehr dafür geliefert, der repräsentativen Demokratie zu misstrauen
und sich außerparlamentarisch in Szene zu setzen.

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