Rheinische Post: Kommentar: Von Mäusen und Menschen

Ist das wirklich überraschend, dass
Wissenschaftler dabei sind, Mischwesen als organische Ersatzteillager
zu fabrizieren? Wohl kaum. Weil die ethischen Leitplanken gerade in
der Gentechnik immer weiter versetzt worden sind. Die scheinbar
grenzenlosen Verheißungen der Wissenschaft stellen moralischen
Bedenken in den Schatten. Erforscht wird, was bislang unerreicht ist.
Und gemacht wird dann, was möglich ist. Natürlich gibt es diverse
nationale Schutzgesetze. Die sind mancherorts streng, andernorts
interpretationsfähig. Doch der Forschergeist verhält sich wie das
Wasser und schlägt stets den Weg des geringsten Widerstandes ein. Nun
fällt es bei allem Frankenstein-Geraune schwer, etwas zu verteufeln,
was vordergründig dem Wohle des Menschen dient. Ein längeres Leben
dank neuer Organe! Das große Glück stellt keine Fragen mehr nach der
Herkunft von rettenden Bauchspeicheldrüsen aus Ratten und Mäusen.
Doch die Verlängerung des Lebens bedeutet eine Veränderung des Lebens
– genauer: Sie erzeugt ein neues Bild vom Menschen. Wir sind dabei,
den Menschen mehr und mehr zum Ding zu machen: Wir nehmen Einfluss
auf seine genetische Ausstattung, tauschen aus, was defekt ist und
züchten bald heran, was nötig ist. Das aber ist kein Segen für die
Menschheit. Es ist die Abkehr von unserem Verständnis, Leben als
etwas Gegebenes zu sehen; nicht als etwas Gemachtes. Darin liegt die
Würde des Menschen begründet. Und das verlangt auch, die
Sterblichkeit des Menschen zu akzeptieren. Unsere Würde ist der
Gegensatz von Allmacht. Unsere Würde ist das Eingeständnis von
Unvollkommenheit und die Akzeptanz von Schwäche und Verletzbarkeit.
Darin liegt das begründet, was wir Individualität nennen. Unser Leben
ist nichts Fabriziertes. Unser Leben ist ein Geschenk.

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