Rheinische Post: Merkel ohne Kanzlermehrheit

Ein Kommentar von Gregor Mayntz:

Nein, die Regierung Merkel ist noch nicht am Ende. Ein
Bundespräsident Joachim Gauck wird nicht als erste Amtshandlung den
Bundestag auflösen müssen. Denn selbst, wenn alle Abgeordneten von
SPD, Grünen und Linken gestern gegen die Euro-Rettung gestimmt
hätten, wäre Merkel mit einer eigenen Mehrheit ins Ziel gekommen.
Doch dass die Kanzlermehrheit nicht nur knapp, sondern deutlich
verfehlt wurde, darf kein Koalitionär auf die leichte Schulter
nehmen. CSU-Chef Horst Seehofer hatte tags zuvor die Messlatte
ausdrücklich so hoch gelegt. Merkel hat sie glatt gerissen. Und das
zum ersten Mal in ihrer Kanzlerschaft. Das ist kein Beinbruch, aber
deutlich mehr als ein verstauchter Knöchel. Bislang konnten sich die
Manager von Merkels Mehrheit zurücklehnen und versichern: „So oft Ihr
die Kanzlermehrheit sehen wollt, werden wir sie Euch zeigen.“ Diese
Gewissheit haben sie verloren. Merkels bisheriger Handlungsrahmen –
vom felsenfesten Heimatfundament aus Europa retten – hat Risse
bekommen. Nach der Niederlage in der Präsidentschaftsfrage gegen eine
hinter ihrem Rücken Fakten schaffende FDP ist das bereits der zweite
Schlag gegen Merkels Macht. Koalitionen leben vom Gefühl, viele
Gemeinsamkeiten und die Mehrheiten dafür zu haben. Diese Vorräte
schwinden.

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