Ein Kommentar von Michael Bröcker:
In der Krise zeigt Angela Merkel regelmäßig ihre größte Stärke:
gnadenlosen Pragmatismus. Die Regierungschefin ist nach dem Rücktritt
ihres beliebtesten Ministers, Karl-Theodor zu Guttenberg, rasch mit
einem überzeugenden Personalpaket zur Tagesordnung übergegangen und
präsentiert sich wie schon bei früheren Rücktritten konservativer
Leitfiguren als „Augen-zu-und-durch“-Kanzlerin. Mit Thomas de
Maizière, ihrem engen Vertrauten und einem parteiübergreifend
anerkannten Politik-Manager, setzt Merkel zudem ihren
Wunschkandidaten an die Spitze des derzeit wichtigsten
Kabinettsressorts. De Maizière wird in die Fußstapfen seines Vaters,
des früheren Generalinspekteurs Ulrich de Maizière, treten und die
größte Reform in der Geschichte der Bundeswehr mit Augenmaß und
Solidität, dafür ohne Showpotenzial umsetzen. Merkel hat sich für den
Anti-Guttenberg entscheiden, weil ein zweiter Guttenberg nicht in
Sicht war. Also: Weiter so. War da was? Ja – da war was. Die
argumentativen Verrenkungen der CDU-Chefin bei der Unterstützung
Guttenbergs – hier der plagiierende Privatmann, da der überzeugende
Minister – haben Spuren in der bürgerlichen Klientel hinterlassen,
die tief sind. Merkels herablassender Umgang mit den
wissenschaftlichen Prinzipien, die eben nicht nur in der Wissenschaft
gelten, zeigt das unschöne Gesicht einer wahlkämpfenden
Machtpolitikerin, die Volksminister Guttenberg nicht aus innerer
Überzeugung, sondern aus Kalkül stützen wollte. Wie Merkel auf dem
CDU-Bildungsparteitag im Herbst die Themen geistiges Eigentum und
Forschungsstandort artikulieren wird, dürfte noch spannend werden.
Merkel geht als Regierungschefin und als Parteivorsitzende geschwächt
aus der Affäre hervor. Denn die Union gerät in den anstehenden
Landtagswahlen nun aus zwei Richtungen unter Druck. Die
Guttenberg-Unterstützer im Land werden sich mit einer
„Die-haben-uns-den-Mann-kaputtgemacht“-Haltung von Merkel und
vielleicht auch von der Wahlurne abwenden. Gleichzeitig legt der
Abgang Guttenbergs den Sex-Appeal der übriggebliebenen
Regierungsmannschaft offen – und der ist eher unterdurchschnittlich
ausgeprägt. Die akademische Elite auf der anderen Seite dürfte
nachhaltig verärgert sein über die Doppelmoral der promovierten
Physikerin im Kanzleramt. Diese Gruppe macht einen beträchtlichen
Teil der CDU-Wählerschaft aus. Dass auch brave Konservative buhen
können, durfte Angela Merkel soeben bei einem Wahlkampfauftritt in
Stuttgart erleben. Die Krisen-Kanzlerin muss schon wieder einen
Neustart wagen, um die Koalition aus der reaktiven Haltung
herauszubefördern. Klare Entscheidungen ihres neuen Ministers, etwa
bei den Standortfragen, wären ein erster Anfang. Merkels
Verteidigungsminister muss jetzt auch Merkel verteidigen.
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