Der mutmaßliche Giftgasangriff des syrischen
Machthabers Assad auf sein Volk lässt einen alten Grundsatzstreit
mitten im Wahlkampf aufbrechen. Darf es einen Kriegseinsatz aus
humanitären Gründen geben: ja oder nein? Und wenn ja, auch ohne
UN-Mandat? Die Äußerungen der Regierungsmitglieder sind trotz aller
öffentlichen Schärfe intern vorsichtig. Von „unkalkulierbarem Risiko“
ist die Rede. FDP-Außenminister Guido Westerwelle predigt eine
„Kultur der militärischen Zurückhaltung“. Es drohe ein
„Flächenbrand“, sagt CDU-Experte Ruprecht Polenz. Was SPD-Kanzler
Gerhard Schröder zum Auftakt des Bundestagswahlkampfs 2002 auf dem
Opernplatz in Hannover zum Irak-Krieg formulierte, gehört heute zum
außenpolitischen Grundsatzprogramm von Schwarz-Gelb. Keine Abenteuer!
In der Libyen-Frage hat Merkels Regierung bewiesen, dass sie aus
Schröders populärer Anti-Kriegs-Haltung gelernt hat – und die
Verbündeten im Regen stehen gelassen. Vielleicht machen es sich Union
und FDP zu leicht, wenn sie nun im Wahlkampf den Schulterschluss mit
den USA fürchten. Nehmen wir an, die Beweise, die der US-Regierung
für den Giftgasanschlag mit Hunderten Toten vorliegen, sind
stichhaltig. Nehmen wir weiter an, dass die – zugegeben – wüste
Theorie ausgeschlossen werden kann, dass Assad-kritische Rebellen die
Attacke selbst gestartet haben könnten, um ein Eingreifen des Westens
zu befördern. Dann, ja, dann muss die Bundesregierung sagen, ob ein
Giftgaseinsatz eines autoritären Regimes in der internationalen
Gemeinschaft folgenlos bleiben sollte. Und welche Konsequenzen dies
für die Bevölkerungen anderer Herrschaftssysteme haben könnte.
Natürlich kann ein Syrien-Einsatz ohne UN-Mandat im Wahlkampf einen
Stimmungswechsel erzeugen, ähnlich wie 2002. Schon eine logistische
oder finanzielle Beteiligung Deutschlands würden SPD, Grüne und Linke
ausschlachten. Das weiß die Kanzlerin. Und es stimmt ja: Ein
Militäreinsatz darf immer nur Ultima Ratio sein. Wer hätte dies mehr
verinnerlicht als wir Deutsche? Dennoch, so zynisch es klingt, könnte
ein Nichteingreifen bei einem staatlich organisierten Massenmord den
übrigen Diktatoren in der Welt als Vorbild dienen, wie Aufstände
„erfolgreich“ unterdrückt werden können. Der zivilisierte Westen ist
schließlich kriegsmüde. Niemals würde eine unionsgeführte
Bundesregierung einen außenpolitischen Alleingang wagen, hatte Merkel
2002 im Streit um den Irak-Krieg den transatlantischen Freunden
zugerufen. In Libyen hat sie ihr Wort gebrochen. Das sollte sie nicht
wiederholen.
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