Rheinische Post: Trotz allem: noch einmal Obama Kommentar Von Sven Gösmann

Gut möglich, dass der neue US-Präsident der
alte sein wird: Barack Obama. Seine Wiederwahl würde keine
Begeisterung mehr auslösen. Vor vier Jahren ließ Obamas
predigerhaftes Auftreten Milliarden Menschen hoffen, hier komme ein
Antipolitiker ins Oval Office. Am Ende entpuppte sich der Messias aus
Chicago als politisches Soufflé – die Wirklichkeit ließ oftmals die
Luft aus seinen Ideen. Es sind die übergroßen Erwartungen, die Obama
am Ende seiner (ersten) vier Jahre im Weißen Haus kleiner erscheinen
lassen, als es seiner Leistung gebührt. Man mag es nicht gutheißen,
dass seine Regierung die Notenpresse anwarf, um die
krisengeschüttelte amerikanische Wirtschaft zu stabilisieren. Mit
dieser riskanten Politik vermied er jedoch den Kollaps der
wichtigsten Volkswirtschaft der Erde. Er unterzog die US-Banken,
Auslöser der Finanzkrise, einem Stresstest und machte sie
zukunftsfester. Mit seiner Gesundheitsreform half er mehr als 40
Millionen US-Bürgern ohne Krankenversicherung. Er beendete zwei
Kriege in Irak und Afghanistan. Gleichzeitig zog er effizienter als
die Bush-Vorgängerregierung gegen den Terror ins Feld. Obama,
voreilig gekürter Friedensnobelpreisträger, wurde ein Drohnenkrieger.
Sein berühmtester Skalp: Osama bin Laden. Dennoch ist bei vielen
Amerikanern die Enttäuschung groß. Denn der Demokrat grub sich im
Stellungskampf mit Tea Party und Republikanern im linken
Schützengraben ein. Resultate: mehr Schulden, mehr Staat, eine nur
stotternd anspringende Wirtschaft, zu wenig neue Jobs, die
Mittelklasse fürchtet den Abstieg. Unter 104 Golfrunden, die Obama in
seiner Amtszeit spielte, war nur eine mit einem Republikaner. Aus dem
Charismatiker wurde ein Grübler, der seinen Herausforderer Mitt
Romney im Wahlkampf mit Schmutz bewerfen ließ. Natürlich ist Romney,
der mormonische Multimillionär, nicht die Heuschrecke, als die ihn
viele beschreiben. Er ist ein erfolgreicher Unternehmer, was ihm in
Amerika Bewunderung einbringt, in Deutschland Neid. Als Gouverneur
von Massachusetts betrieb er eine Politik der Mitte. Im Wahlkampf
allerdings überzog er, um seinem rechten Parteiflügel zu gefallen.
International steht er in der Tradition der US-Außenpolitik. Aber man
muss auch an Romney zweifeln. Er wechselte häufig seine Positionen.
Kann er so seine fiebernde Partei im Zaum halten, die Welt lenken?
Ist seine Politik der radikalen Steuersenkung nicht Fortsetzung der
marktgläubigen Finanzpolitik des George W. Bush? Keiner der
Kandidaten weckt also Begeisterung. Aus europäischer Sicht wird es
die Wahl des kleineren Übels, das Obama heißt. Weil man bei ihm weiß,
woran man ist.

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