Rheinische Post: Wulffs Türkei Kommentar Von Gregor Mayntz

Am Ende des Türkei-Staatsbesuches wirkt es wie
ein kluger Schachzug: Am 3. Oktober erklärt der Bundespräsident den
Islam zu Deutschland gehörig, zwei Wochen später in Ankara das
Christentum zur Türkei. Das klingt nach einem ausgeklügelten Plan.
Tatsächlich führte der Zufall Regie: Als Bundespräsident Horst Köhler
die Türkei-Reise plante, konnte er nicht ahnen, dass sein Nachfolger
Christian Wulff auf eine ausufernde Integrationsdebatte zu reagieren
haben würde, und zwar in beide Richtungen, in die deutsche wie in die
türkische. Es zeichnet Wulff aus, die Gelegenheit des Zufalls optimal
genutzt zu haben. 110 Tage nach Amtsantritt entwickelt er
gestalterische Qualitäten, die weit über das hinausgehen, was eine
Regierung ihrem Staatsoberhaupt auf den Sprechzettel zu schreiben
pflegt. Demonstrativ einen Gottesdienst dort zu feiern, wo die Türken
nur ein „Museum“ und keine Kirche anerkennen, dann zum Abschluss noch
eine deutsch-türkische Universität am Bosporus ins Leben zu rufen,
das zeigt, dass Wulff auf der Klaviatur der Symbole kräftig
aufspielen will. Dabei testet er auch im Inland Stimmungsgrenzen aus:
„Europa braucht die Türkei, wie die Türkei Europa braucht“ – das ist
richtig, auch wenn es nicht jedem schmeckt.

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