Von Christian Altmeier
Es wirkte zunehmend wie ein Anachronismus: Inmitten eines
vereinten Europas würdigten sich die Nachbarn Bayern und Tschechien
auf Regierungsebene keines Blickes. Nun haben Horst Seehofer und sein
tschechischer Amtskollege Petr Necas mit ihrem Treffen in Prag auch
in der Politik nachvollzogen, was in Wirtschaft, Kultur und auf
vielfacher persönlicher Ebene längst Realität ist. Der Konflikt über
die Vertreibung der Sudetendeutschen wurde damit freilich nicht
gelöst. Er wurde lediglich ausgeklammert. Dass sich die beiden
Nachbarn darauf geeinigt haben, die Auseinandersetzung über die
Benes-Dekrete beiseite zu schieben, ist aber bereits ein Fortschritt.
Denn dies ermöglicht Bayern und Tschechen zumindest einen gemeinsamen
Blick in die Zukunft. Es ist indes auch die Folge eines sich
allmählich verändernden Geschichtsbewusstseins auf beiden Seiten.
Zwar kritisieren nicht nur die Vertriebenen zu Recht, dass die
tschechische Regierung die Vertreibungen offiziell noch immer als
gerechtfertigt verteidigt. Die vereinbarte Intensivierung der
Kontakte wird jedoch hoffentlich zu einer weiteren Enttabuisierung
der Nachkriegsgeschichte beitragen – so dass Bayern und Tschechen
irgendwann gemeinsam sowohl nach vorn als auch zurück schauen können.
Pressekontakt:
Rhein-Neckar-Zeitung
Manfred Fritz
Telefon: +49 (06221) 519-0