Schwäbische Zeitung: Armut lässt sich nicht schönfärben – Kommentar

Nein, in Deutschland liegen keine frierenden
Rentner unter den Brücken, und hungern muss auch niemand. Doch ist
das Grund genug zur Entwarnung? Das Schönreden der sozialen
Verhältnisse, wie es der wissenschaftliche Beirat beim
Bundeswirtschaftsministerium macht, hilft jedenfalls nicht weiter.
Das Augen-fest-zumachen ist schon einmal passiert, bei der Frage der
Einwanderung. In den 70er- und 80er-Jahren hat man so lange
bestritten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, bis sich eine
„verlorene Generation“ etabliert hat, die wenig Deutsch konnte und
keine Arbeit bekam.

Dieses Muster darf sich in der Armutsfrage nicht wiederholen, sie
darf nicht ausgeblendet werden. Sicher, Deutschland ist reich und
steht wirtschaftlich gut da. Aber dass die soziale Spaltung zunimmt,
ist auf den Straßen zu sehen und im Alltag zu spüren. Das ist keine
harmlose Entwicklung, sondern ein massives Problem. Die Niedriglöhner
von heute sind die Armutsrentner von morgen. Geradezu absurd sind da
Beschwichtigungsversuche, dass man ja die Rente gar nicht voraussagen
kann, weil man die wirtschaftliche Entwicklung nicht kennt. Wer von
einem geringen Einkommen am Ende nur 43 Prozent und keine
Zusatzversicherung bekommt, ist arm und wird auch in 30 Jahren arm
sein.

Jeder dritte Haushalt fürchtet sich schon vor Altersarmut. Jede
Form von Zuschussrente kann nur das letzte Mittel sein. Wichtiger
sind die vorbeugenden Maßnahmen: Kinder aus armen Verhältnissen noch
besser fördern, Dumpinglöhne und den massenhaften Missbrauch von
Kombilöhnen verhindern, Jugendliche mit ausländischen Wurzeln besser
sprachlich fördern und Alleinerziehenden mehr helfen, serielle
Praktikanten-Stellen für Berufsanfänger verhindern – um nur einige
Beispiele zu nennen.

Armut sei politisch gewollt, diese Unterstellung aus Kreisen der
nationalen Armutskonferenz ist zwar völlig überzogen. Den Vorwurf
aber, Armut nicht entschlossen zu bekämpfen, den muss sich die
Bundesregierung gefallen lassen.

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