Schwäbische Zeitung: Chance für die Hauptstadt – Leitartikel

Die rot-grünen Koalitonsverhandlungen in Berlin
sind gescheitert, und das ist gut so. Wenn die Mehrheit zum Regieren
nur eine Stimme beträgt, und wenn die Positionen weit auseinander
sind, ist nerviger Dauerstreit programmiert. In der CDU hat Wowereit
einen möglichen Partner, dem verlässlich an einer guten Infrastruktur
für die Hauptstadt liegt.

Gescheitert sind die Verhandlungen nicht nur am Weiterbau von drei
Kilometern Autobahn, die Berlin gut brauchen kann, sondern auch an
der Unversöhnlichkeit der Handelnden. Im Wahlkampf hatte die Grüne
Renate Künast zunächst auf die grün-schwarze Karte gesetzt, bevor
sie, sowohl von der linken grünen Basis als auch von sinkenden
Umfragewerten getrieben, wieder auf Wowereit zuging.

Berlins Regierender Bürgermeister wiederum ist nach zehn Jahren
Koalition mit den Linken an pflegeleichte Partner gewohnt, empfindet
grüne Diskussionsfreude oft als lästig und hätte selbst von Anfang an
wohl die CDU bevorzugt, wenn nicht seine Partei auf Rot-Grün gedrängt
hätte. Eine solche Koalition wäre also alles andere als eine
Liebesheirat gewesen – und es wäre mit Sicherheit auch kein
überzeugendes Referenzmodell für den Bund geworden.

Deshalb bedeutet das Scheitern für die Bundespolitik gar nichts.
Aus der Berlin-Wahl ist SPD-Vize Klaus Wowereit ohnehin nicht als
strahlender Sieger hervorgegangen, der jetzt Ambitionen für die
Führung eines künftigen rot-grünen Bündnisses anmelden könnte. Dass
Berlin künftig Rot-Schwarz regiert wird, heißt nicht, dass für die
SPD nicht weiterhin, wenn es eben reicht, Rot-Grün die erste Wahl
wäre.

Für Berlin aber wäre die erste Wahl nicht die beste gewesen. Eine
Stadt, die noch die Folgen der Teilung beseitigen muss, braucht neue
Autobahnstücke. Große Infrastrukturprojekte wie der
Großstadt-Flughafen stehen vor der Vollendung. Eine gescheite
Industriepolitik vermisst die Hauptstadt ohnehin seit Jahren. Deshalb
ist Wowereits Absage an Rot-Grün eine Chance.

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