Schwäbische Zeitung: Die Akte ist wieder offen – Kommentar

Da hat einer eine Akte auf seinem Schreibtisch,
und die Bearbeitung ist lästig, weil sich der gute Mann so oder so
Ärger einhandeln wird. Also legt er die Akte mal nach links, mal nach
rechts, schlägt sie bisweilen kurz auf, verkündet, dass er das
Problem jetzt angehen wolle – und macht sie schnell wieder zu, wenn
sich Protest ankündigt. So geht das seit Jahr und Tag, die Akte wird
vom einen an den anderen Schreibtischinhaber vererbt, sie wird zum
vergilbenden Beweis, dass Papier tatsächlich geduldig ist.

Die Akte besteht in diesem Fall aus vielen Seiten, die das Problem
der Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur in Deutschland
beschreiben. Dass dieses Problem existiert, das ist völlig
unbestritten. Reichlich unbestritten ist auch, dass, um es angehen zu
können, von irgendwoher Geld kommen muss. Maut, Vignette,
Kfz-Steuererhöhung, höhere Steuern auf den Sprit: Theoretisch ist
alles möglich. Praktisch geht aber gar nichts, weil der aktuelle
politische Gegner, alle möglichen Interessenverbände und nicht
zuletzt der sich geschröpft fühlende Bürger Autofahrer reflexartig
die Barrikaden besteigen.

Man darf gespannt sein, ob der aktuelle Bundesverkehrsminister
diese Akte vom Tisch kriegt. Die Vignette hätte einen Vorteil und
einen Nachteil: Sie wäre einerseits transparent, träfe aber
anderseits Viel- und Wenigfahrer in gleicher Weise. Gerechter wären
höhere Spritsteuern. Aber das laut auszusprechen, käme in diesem Land
politischem Harakiri gleich.

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