Schwäbische Zeitung: Die Studie allein hilft nicht weiter – Leitartikel

Vor wenigen Wochen hat sich der
rheinland-pfälzische SPD-Justizminister Jochen Hartloff dafür
ausgesprochen, in Deutschland zumindest teilweise das islamische
Rechtssystem Scharia anzuwenden, wenn es um Streitigkeiten unter
Muslimen geht. Unionspolitiker reagierten mit reflexartiger Empörung.
Dabei hatte der Vorschlag durchaus sein Gutes: Er beleuchtet
schlaglichtartig die parteiübergreifende Ratlosigkeit, wenn es um das
große Thema Integration geht. Der Begriff ist zwischenzeitlich derart
verwässert und unverbindlich, dass er nur noch als Reizwort für ein
gewachsenes Problem dieser Gesellschaft taugt.

Die jetzt veröffentlichte Studie operiert ebenfalls mit diesem
Reizwort. Und die Reaktionen passen in die bekannten Schemata. Volker
Beck von den Grünen attestiert dem Innenminister, ihm selber mangele
es an Integrationsbereitschaft, die FDP erkennt eine Verschwendung
von Steuergeldern, und in der Union erklingen mal wieder Alarmrufe.
In der Tat ist das Papier eine Steilvorlage für alle möglichen
Interpretationen. Die überwiegende Mehrheit der Muslime distanziert
sich von Gewalt und Terror: gute Nachricht! 48 Prozent der
nichtdeutschen Muslime zwischen 14 und 32 Jahren zeigen starke
Separationsneigungen: schlechte Nachricht! 24 Prozent zeigen
tendenziell eine Gewaltakzeptanz: schlechte Nachricht! Die Mehrheit
aller Befragten will sich integrieren: gute Nachricht! Viele wollen
ihre Herkunftskultur bewahren, liebäugeln aber auch mit der
deutschen: ambivalente Nachricht!

Bei aller unterschiedlichen Lesart: Zur Beschwichtigung sind die
Ergebnisse nicht geeignet. Es empfiehlt sich, das Unerfreuliche
dieser Untersuchung sehr ernst zu nehmen. Nur dann ist sie hilfreich.
Die wabernde Integrationsdebatte muss ins Konkrete gewendet werden,
sonst ist sie zur Ergebnislosigkeit verdammt. Für die Muslime in
Deutschland wäre es zunächst einmal wichtig zu erfahren, was die
deutschstämmige Gesellschaft eigentlich unter Integration versteht.

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