Schwäbische Zeitung: Ein guter Witz und ein schlechter – Leitartikel

Eine liebenswürdig-ironische, also im besten
Sinne harmlose Karikatur erregt unvermutet den Zorn türkischer
Politiker. „Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“ wittert das
Außenministerium in Ankara, zu „Hass und Islamophobie“ werde da
angestachelt. Es handle sich um eine Karikatur, „die unseren
Präsidenten und unsere in Deutschland lebenden Bürger beleidigt“. Aus
einem gut gemeinten Witz ist plötzlich ein schlechter geworden. Wie
lässt sich so etwas erklären?

Wer dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Humorlosigkeit
attestiert, liegt gewiss richtig. Bei Politikern, die sich als
Potentaten gebärden, ist Sinn für Ironie immer schon Mangelware
gewesen. Erdogan ist aber nicht nur autoritärer Herrscher und
Nationalist mit deutlichem Hang zum Größenwahn, sondern auch ein
religiöser, islamistischer Eiferer. Diese Mischung verträgt sich
endgültig nicht mehr mit Humor. Schlimmer noch: Sie ist der Feind
jeglicher Gelassenheit und Toleranz. Erdogans Umgang mit seinen
Kritikern im eigenen Land belegt dies permanent sowie auf unschöne
Weise.

Dennoch: Humorlosigkeit allein genügt nicht als Erklärung für
diese erbosten, völlig überzogenen Reaktionen auf eine Karikatur.
Verräterisch ist nämlich die Wortwahl des türkischen Protests.
Angeblich beleidigt werden nicht etwa in Deutschland lebende Menschen
mit türkischen Wurzeln, sondern „unsere in Deutschland lebenden
Bürger“. Das ist ein großer Unterschied. Das Integrationsverständnis
Erdogans hat mit dem Integrationsverständnis der deutschen
Gesellschaft nicht viel gemein. Assimilation ist für ihn gar ein
„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Deshalb bleibt leider
festzuhalten: Erdogan und seinen Vasallen ist daran gelegen, dass
ihnen die Kampfbegriffe Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und
Islamophobie nicht abhanden kommen. Sie brauchen sie, um ihren
Einfluss in Deutschland nicht zu verlieren. Eine wichtige Frage
lautet deshalb: Wie kann man gut integrierte und integrationswillige
türkischstämmige Menschen vor den Tiraden aus Ankara schützen?

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