Schwäbische Zeitung: Ein Hoch auf die Dorfwirtschaft – Leitartikel

Es ist ein feiner Zug Paul Locherers, dass er
sich um die schwindende Wirtshauskultur in unserem ländlichen Raum
sorgt. Schließlich ist den kleinen Dörfern Stück für Stück ihrer
einstigen Identität genommen worden.

Zuerst verwaiste das Pfarrhaus, dann stand die Schule leer, der
Tante-Emma-Laden hatte nur noch so lange offen, wie die alten
Ladeninhaber weitermachten, obwohl es sich im Discounter-Zeitalter
lange schon nicht mehr rentierte. Und seit vielen Jahren macht eine
Dorfwirtschaft nach der anderen zu. Der Amtszeller CDU-Politiker hat
Recht, dass damit ein Stück Lebensqualität verloren geht. Er hat aber
Unrecht, wenn er glaubt, mit Fördermitteln diesen Trend stoppen zu
können.

Die Zeiten haben sich gewandelt und die Menschen auch. Fast jedes
Dorf hat heute einen Pfarrstadl oder ein Vereinsheim. Das ist ein
schönes Zeugnis für Bürgersinn und zugleich ein unschöner Konkurrent
für die traditionelle Gastronomie, die auch noch steuerlich gegenüber
diesen Treffs benachteiligt wird. So lang ist es noch gar nicht her,
dass Anfang und Ende des Dorflebens im Gasthaus stattfanden:
Hochzeit, Taufe und Beerdigung.

Heute betanzt der Bräutigam seine Angetraute im Pfarrstadl und der
Leichenschmaus wird im Vereinsheim ausgerichtet – stets steuergünstig
und zu Lasten der richtigen Gasthäuser. So stilvoll ein Frühschoppen
oder ein abendliches Sechsundsechzig am Stammtisch sein kann – von
diesen paar Bier kann kein Wirt überleben.

Geld kann viel. Doch Geld kann nicht die Lebensgewohnheiten der
Menschen ändern. Eine Subventionierung des Dämmerschoppens fände
sicher manchen Anhänger, doch ist dies Quatsch. Als die
Tante-Emma-Läden verschwunden waren, ging ein nostalgisches Ächzen
durchs Land.

Vielleicht muss man den Menschen klar machen, dass sie nicht
billigstmöglich davonkommen und gleichzeitig Traditionen bewahren
können. Wenn Locherers Idee diese Nachdenklichkeit bewirkt, dann
war–s eine gute Idee, ein Quantum Trost. Prost.

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