Schwäbische Zeitung: Gauck muss sich einmischen – Leitartikel

Dass Joachim Gauck und die Linkspartei nicht
allzu viel gemeinsam haben, ist bekannt. Zu unterschiedlich sind die
Weltanschauungen des früheren DDR-Bürgerrechtlers und der
SED-Nachfolgepartei. Immer wieder hat Gauck die Linke kritisiert.
Diesmal geht es um die Wahl von Bodo Ramelow, der sich mithilfe der
Grünen und der SPD zum thüringischen Ministerpräsidenten küren lassen
will. Mit der Einmischung in ein tagespolitisches Thema habe Gauck
eine Grenze überschritten, und er verletze die parteipolitische
Neutralität, mahnen nun Kritiker. Sie liegen falsch.

Dass Gauck auch persönliche Umstände angetrieben haben, darf man
annehmen. Doch was ist schlimm daran? Immerhin hat er die DDR am
eigenen Leibe erlebt. Er mischt sich zwar vordergründig auch in die
Tagespolitik ein, aber bei der Wahl Ramelows geht es um mehr als eine
einfache Regierungsbildung. Es geht darum, ob 25 Jahre nach dem
Mauerfall eine Partei einen Ministerpräsidenten stellen sollte, die
ein gespaltenes Verhältnis zur freiheitlichen Demokratie hat. Die
Kommunistische Plattform in der Linken etwa fordert die Rückkehr des
Kommunismus, eines Systems, das in der Sowjetunion Millionen Tote mit
sich brachte und in der DDR ein berüchtigtes Bespitzelungssystem
etablierte. Die Stasi vernichtete Menschen psychisch und sozial, wenn
sie anders dachten, als das System es wollte. Die DDR war ein
Gegenentwurf zur Demokratie, nicht deren Vervollkommnung. Sie war ein
Unrechtsstaat – eine Bezeichnung, mit der sich die Linke schwertut.
Das wiederum zeigt, dass die Partei ihre problematische Geschichte
erst noch aufarbeiten muss.

All das muss in Thüringen bedacht werden – bei einer Wahl, die
nicht normal ist, sondern grundsätzliche Bedeutung hat. Und deshalb
muss sich auch der Bundespräsident äußern und darf nicht bequem
parteipolitisch neutral bleiben. Dass das Staatsoberhaupt Joachim
Gauck heißt, verleiht der Debatte zudem angemessene Brisanz – und dem
Tabubruch von SPD und Grünen die Aufmerksamkeit, die er verdient.

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