Schwäbische Zeitung: Gauck stehen klare Worte zu – Leitartikel

Es ist eben die Stärke des demokratischen
Rechtsstaates, dass selbst Feinde der Verfassung alle Rechte
besitzen, die sie – so sie je an die Regierung kämen – in kürzester
Zeit abschaffen würden. Die rechtsextreme NPD fühlt sich von
Bundespräsident Joachim Gauck verunglimpft und erwartet nun vom
Bundesverfassungsgericht eine Klarstellung. Die Neonazis sehen sich
von Gauck um die Chancengleichheit bei der jüngsten Bundestagswahl
gebracht, da er Gegner von Flüchtlingsheimen als „Spinner“ bezeichnet
hat. Schon hier liegen die Braunen falsch, da Gauck Demonstranten vor
Asylbewerberheimen so tituliert hat und nicht die NPD-Anhängerschaft
per se.

In Karlsruhe geht es um das Elementare einer aufgeklärten
Gesellschaft, die hoffentlich aus ihrer Geschichte gelernt hat. Der
Bundespräsident regiert nicht. Er ist oberster Repräsentant der
Bundesrepublik Deutschland und deshalb verpflichtet, das Grundgesetz
zu schützen. Gauck wirkt nach eigener Einschätzung durch das Wort. Er
muss dabei die Möglichkeit haben, offen formulieren zu können, um auf
diese Weise die Werte der Verfassung gegen ihre Feinde überhaupt
verteidigen zu können. Es mag nun die unterschiedlichsten
juristischen Betrachtungen darüber geben, welche Grenzen der
Staatschef dabei nicht überschreiten darf – politisch dürfte der Fall
doch klar sein: Was wäre das für ein Land, wenn sich der wichtigste
Amtsträger nicht zu Ausländerhass, Rassismus und Neonazismus äußern
dürfte? Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
formulierte es treffend: Es wäre schon sehr merkwürdig, wollte man
dem Bundespräsidenten deutliche Stellungnahmen und deutliche Worte
untersagen.

Die NPD spielt die verkannte Unschuld. Die Partei, die vor einem
möglichen Verbot steht, zwingt die obersten deutschen Richter zu
einer Grundsatzentscheidung. Die Rechtsextremisten, die diese
Bundesrepublik so abgrundtief hassen, suchen nach Rechtsschutz durch
das Bundesverfassungsgericht. Was für eine paradoxe Konstellation.

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