Schwäbische Zeitung: Interview: „Europa hat die Kraft, die Krise zu lösen“ – US-Botschafter Philip D. Murphy glaubt an die Zukunft des Euro – wenn es gemeinsame Regeln gibt

Diskussionen mit 200 Gymnasiasten und 60
Unternehmern – Philip Murphy suchte am Dienstag in Ravensburg die
Debatte. Der US-Botschafter sprach mit Klaus Wieschemeyer von der SZ
bei seinem Besuch über transatlantische Beziehungen, die Eurokrise,
Syrien, Wikileaks und seinen Lieblingssport – Fußball.

SZ: Was macht ein Botschafter der USA in Ravensburg?

Philip D. Murphy: Zunächst einmal wurde ich von Andreas
Schockenhoff eingeladen. Bundestagsabgeordnete laden mich öfter in
ihre Wahlkreise ein. Außerdem war ich zuletzt in den 1990ern in der
Bodenseeregion. Ravensburg hat einen sehr guten Ruf, nicht nur für
seine starke mittelständisch geprägte Industrie, sondern auch in den
Augen meiner Kinder: Mein Sohn Sam fragte mich, ob ich hier den
ganzen Tag puzzle.

SZ: Statt zu puzzeln, trafen Sie sich mit Schülern. Wieso?

Murphy: Menschen meines Alters braucht man nichts über die
deutsch-amerikanischen Beziehungen zu sagen, weil sie sie einfach
gelebt haben. Aber bei einem 17-Jährigen in Deutschland – und in den
USA – können wir das nicht voraussetzen. Wir müssen erzählen, warum
diese Partnerschaft so wichtig ist. Das ist eine Investition in die
Zukunft.

SZ: Sind die Beziehungen noch so wichtig, wenn der Präsident vom
pazifischen Jahrhundert spricht?

Murphy: Absolut. Ich denke, es gibt da kein Entweder-oder, sondern
nur ein Sowohl-als-auch. Barack Obama hat klargemacht, dass
Deutschland Partner erster Wahl ist. Der Aufbau der Pazifikstrategie
ist eine Hommage an den Erfolg der atlantischen
Sicherheitsarchitektur, von der beide Seiten des Atlantiks seit 65
Jahren profitieren. Es ist auch eine Ressourcenfrage. Mit dem Rückzug
aus dem Irak und den laufenden Truppenreduzierungen in Afghanistan
müssen wir unseren Kräften im Pazifik mehr Aufmerksamkeit zukommen
lassen.

SZ: …und deshalb ziehen Sie Truppen aus Europa ab?

Murphy: Das ist nur ein kleiner Teil. Derzeit werden Truppen aus
Europa nur maßvoll abgezogen, und das auch nach Plänen der
Bush-Administration. In der neuen Pazifikstrategie des Präsidenten
ist eine kleine, aber sehr wichtige Stationierung von US-Marines in
Australien angekündigt. Aber das ist unabhängig vom Atlantik.

SZ: Sie haben geschrieben, die deutsch-amerikanischen Beziehungen
seien gut wie nie zuvor…

Murphy: Die Beziehungen könnten kaum besser sein. Und das mitten
in einer hochkomplizierten Situation wie der derzeitigen.

SZ: Trotz Wikileaks, das 2010 enthüllte, dass sie Merkel intern
Teflon-Eigenschaften zuschrieben?

Murphy: Wikileaks wird hoffentlich die peinlichste Episode meines
Lebens bleiben. Aber unsere Beziehung ist sehr stark. Auch wenn wir
unterschiedliche Ansichten oder Erfahrungen haben, finden wir immer
wieder zusammen.

SZ: Verschiedene Ansichten gibt es jetzt: Obama fordert
Euro-Bonds.

Murphy: Ich glaube nicht, dass er das wirklich gesagt hat. Wir
wollen, dass die Europäer so schnell und kraftvoll handeln, wie es
die Krise erfordert. Wir sind sehr beeindruckt von dem, was sie
unternehmen. Europa hat die Kraft, die Krise zu lösen. Die Krise ist
gewaltig, also muss die Antwort auch gewaltig sein. Es gibt keinen
magischen Wendepunkt, sondern nur eine Kombination vieler Maßnahmen.
Damit werden wir es durchstehen.

SZ: Als gelernter Banker: Was kann Europa von den USA lernen?

Murphy: Man kann lernen, was getan wurde mit einem Fiskalpakt.
Eine gemeinsame Währung von 17 Staaten ist unmöglich, wenn man diese
nicht enger verbindet. Eine gemeinsame Währung braucht gemeinsame
Verkehrsregeln, ein gemeinsames Playbook. Wir haben das in Amerika.

SZ: Die USA bezahlen Wachstum mit Staatsschulden.

Murphy: In einer wirklich tiefen Krise verlieren Unternehmen und
Haushalte Vertrauen und geben kaum noch Geld aus. Wer bleibt dann
über? Der Staat. Er muss nach klassischer keynesianischer Lehre in
die Lücke springen, damit die Wirtschaft der Krise entwachsen kann.

SZ: Wird der Euro die nächsten fünf Jahre überleben?

Murphy: Ja. Und das ist gut so. Diese Krise wird vielleicht mehr
verlangen als wir schon wissen und wollen. Aber es wird ein
überwältigender Erfolg, wenn es richtig gemacht wird.

SZ: Hängt Obamas Wiederwahl vom Wachstum in Europa – und damit von
Jobs in Amerika – ab?

Murphy: US-Präsidentschaftswahlen hängen fast immer auch davon ab,
wie die Wirtschaft läuft, und Europa hat große Auswirkungen auf die
US-Wirtschaft. Ich finde, unsere Regierung hat einen großartigen Job
bei fürchterlicher Wirtschaftslage gemacht. Wir müssen weiter
Fortschritte machen. Das werden wir, und das wird die Wahl
entscheiden.

SZ: Obama sagt in der Krise auch: „Die Privatwirtschaft läuft
gut“. Ein Elfmeter für Kritiker?

Murphy: Die Menschen entscheiden über Politik. Glauben Sie nicht
alles, was Republikaner oder Demokraten sagen. Obama meinte, dass die
Privatwirtschaft seit Jahren wächst. Es sind die Städte und Staaten,
die die Leute entlassen.

SZ: Was ist mit Mitt Romney?

Murphy: Romney ist gut und intelligent. Er denkt, wenn es der
Oberschicht besser geht, sickert der Wohlstand in Mittel- und
Unterschicht durch. Obama steht für den kleinen Mann. Er glaubt: Wenn
die Mittelklasse prosperiert, geht es der ganzen Gesellschaft besser.

SZ: Wie kann man den Bürgerkrieg in Syrien stoppen?

Murphy: Russland muss dabei eine zentrale und verantwortungsvolle
Rolle übernehmen.

SZ: Danach sieht es nicht aus.

Murphy: Russland hat sich bewegt, aber noch längst nicht genug.
Wir hoffen, dass Russland erkennt, dass es nicht nur im Sinne
unschuldiger Opfer, sondern auch im eigenen Interesse ist, die
Tragödie zu beenden. Russland muss Teil der Lösung sein. Ich hoffe,
dass es das früher oder später akzeptiert und versteht.

SZ: Sie gelten als Fußballfan…

Murphy: Ich habe bisher jedes EM-Spiel gesehen, außer England
gegen Schweden.

SZ: Wer wird Europameister?

Murphy: Ich denke, Deutschland gewinnt im Finale gegen Spanien.

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