Schwäbische Zeitung: Keine Angst vor dem Bürger

Auf dem Weg hin zu mehr direkter Demokratie hat
die baden-württembergische Landesregierung einen ersten Schritt
bewältigt – trotz noch anhaltender kleinerer Differenzen mit der
Opposition und den kommunalen Spitzenverbänden ums Kleingedruckte.
Die Vorschläge sind aber gut abgehangen und lange genug diskutiert
worden. Auch die versprochene Verfassungsänderung für Volksentscheide
auf Landesebene sollte nicht mehr wegen des sich bereits
abzeichnenden Landtagswahlkampfs 2016 scheitern. Muße und
Gründlichkeit schlugen in diesem Fall das Drängen der Ungeduldigen.

Die Hürden bleiben noch immer hoch genug. Niemand muss fürchten,
die Grundzüge der repräsentativen Demokratie seien fortan
ausgehebelt. Beispiele anderer Bundesländer wie Bayern mit im
Vergleich schon jetzt niedrigeren Auflagen zeigen, dass die
Parlamente auf allen Ebenen noch genügend Spielraum besitzen.
Strittige Vorhaben kommen erfahrungsgemäß erst dann auf den
Prüfstand, wenn sie sich schwerlich rechtfertigen lassen. Wenn sie
nicht transparent vorbereitet sind. Wenn Kalkulationen nicht stimmen.

Mehr direkte Demokratie heißt nichts anderes als mehr Mut, die
Bürgerschaft häufiger als bislang einzubinden. Das mag im Einzelfall
Populisten eine Bühne geben. Mehr Bürgerentscheide sind aber nicht
automatisch gleichzusetzen mit mehr Misstrauen. Ein gut begründetes
Projekt wird immer punkten.

Die Abläufe im politischen Meinungsbildungsprozess haben sich zwar
rasant geändert, seit auch die Mechanismen sozialer Netzwerke im
Meinungskampf genutzt werden. Stimmungen, gezielt aufgebaut, spiegeln
aber noch lange nicht die tatsächliche Stimmung wider. Direkte
Demokratie entmündigt weder die Verwaltung noch die Parlamente. Im
Regelfall wird sich die Mehrheit der Vernünftigen durchsetzen gegen
den Protest gut organisierter Minderheiten. Das Gemeinwohl kann
dadurch nur gewinnen. Der Volksentscheid zu Stuttgart 21 ist ein
Beleg dafür, dass direkte Demokratie auch Gräben zuschütten kann.

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