Schwäbische Zeitung: Leitartikel – Großes Problem für die Koalition

Gilt die Unschuldsvermutung nicht, ist die
Vorverurteilung nicht mehr weit. Wenn eine Staatsanwaltschaft
Ermittlungen aufnimmt, ist das nicht gleichbedeutend mit einem
Prozess oder gar einer Verurteilung durch ein Gericht. Wenn
Staatsanwälte einen Anfangsverdacht hegen, müssen sie ihm nachgehen.
In der heutigen Mediengesellschaft reicht aber häufig ein solches
Ermittlungsverfahren aus, um Karrieren zu zerstören. Spekulationen
werden zu Halbwahrheiten, Indizien zu Beweisen und auf einmal glauben
viele ein moralisches Urteil sprechen zu können, ohne im Ansatz
Kenntnis vom wirklichen Sachverhalt zu haben.

Wirklich seltsam wirkt jedoch der Informationsfluss rund um die
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den SPD-Politiker
Sebastian Edathy. Und deshalb gibt es eine ganze Reihe von Fragen,
die nicht zwingend im Zusammenhang mit einer Straftat stehen, sondern
die politisch von erheblichem Gewicht sind. Wie sind die
Informationen von staatlichen Behörden in die Politik gelangt? Hat
der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) das
Amtsgeheimnis verletzt, sollte er SPD-Chef Sigmar Gabriel über
möglich bevorstehende strafrechtliche Ermittlungen gegen Edathy
informiert haben?

Es ist bei Weitem kein Talkshow-Gag, sondern geboten, wenn
FDP-Vize Wolfgang Kubicki Ermittlungen nun gegen Friedrich wegen „des
Verdachts der Strafvereitelung im Amt“ fordert. Es heißt, die
Festplatten von Edathys Computer seien zerstört worden. Es hat einen
Beigeschmack, wenn die SPD erst nach den jüngsten Hausdurchsuchungen
zugibt, von den Vorwürfen seit Oktober zu wissen. Edathy galt als
Talent bei den Sozialdemokraten. Er ging dennoch leer aus, als es um
Positionen in Fraktion oder Regierung ging. Friedrich und Gabriel
müssen jetzt überzeugende Antworten auf diese Fragen liefern. Die
Große Koalition steht vor ihrem ersten großen Problem.

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