Bei seiner Dankesrede in Chicago war wieder all
das zu spüren, wofür Barack Obama schon einmal gewählt worden ist:
Vision, rhetorisches Talent, sehr amerikanisches Pathos.
Aber allein die Fähigkeit, seinen Zuhörern bei einer solchen Feier
eine Gänsehaut zu bescheren und allgemeine Werte wie Gerechtigkeit,
Freiheit und Frieden zu beschwören, machen noch keine gute Politik
aus. Das hat Barack Obama in den vergangenen vier Jahren seiner
ersten Amtszeit schmerzlich erfahren: In der Gesundheitspolitik oder
beim Versuch, die Wirtschaft anzukurbeln, musste er mehr Energie zur
Bekämpfung des politischen Gegners aufwenden als für das eigentliche
Vorhaben. Von seinen Wählern wurde Obama ständig an seiner Rolle als
Retter gemessen, an der er selbst nach Kräften mitgearbeitet hatte.
Barack Obama ist im Amte zögerlich und zaudernd geworden. Er hat
sich nicht mehr getraut das zu tun, was er früher als richtig
erachtet hatte. Dass ihm die Wähler jetzt eine zweite Amtszeit
gewährt haben, hat darum auch weniger mit Obama als mit seinem
Herausforderer Mitt Romney zu tun. Der galt auch in
Wirtschaftskreisen als die schlechtere von zwei Möglichkeiten.
Dass Obama erneut zum Präsidenten gewählt wurde, wirkt fast so,
als werde dem mächtigsten Mann der Welt noch einmal eine Chance
gegeben. Weil die Wähler all die Hoffnungen, die sie einst in ihn
gesetzt hatten, nicht einfach über Bord werfen wollten.
Jetzt hat der erste schwarze US-Präsident die Möglichkeit zu
zeigen, wie viel von seinen Visionen geblieben ist. Ob er das kann?
Jene, die Obama kennen, beschreiben ihn als einen Mann, dessen
Herzlichkeit nicht aufgesetzt, aber sehr kontrolliert ist.
Und so ähnlich verhält es sich auch, wenn dieser Präsident im
Nahostkonflikt vermittelt, wenn er nach Europa reist oder einen Krieg
mit Iran zu verhindern versucht. Obama ist professionell.
Leidenschaftlich ist er meist nur, wenn er von seiner Familie
spricht. Aber auch gute Politik braucht Leidenschaft.
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