In die deutsche Politik zieht es ihn nicht
mehr. Und wenn man Günther Oettinger zuhört, wird auch schnell klar,
weshalb er dieses Kapitel für sich abgeschlossen hat. Der frühere
baden-württembergische Ministerpräsident kann mit Parteiraison nichts
mehr anfangen, weil sie ihm zu eng geworden ist. Er hat die
Freiheiten schätzen gelernt, die ihm sein Amt als EU-Kommissar in
Brüssel bietet, und er nutzt diese Freiheiten. Das ist vor allem die
Freiheit des klaren Worts – ohne falsche Rücksichtnahme auf
Parteifreunde oder ein aktuelles Machtgefüge.
Es mutet erstaunlich an: Da füllt einer innerhalb von vier Jahren
sein Amt in einer Art und Weise aus, wie ihm dies nur wenige
zugetraut hatten. Ein weiterer, wenn auch noch junger, Opa für
Europa: Das war – salopp auf den Punkt gebracht – der Eindruck, den
die Personalentscheidung der Bundeskanzlerin im Herbst 2009
hinterließ. Aber der Mann, der in der Heimat als eher kühler
Technokrat galt, tritt jetzt als Politiker auf, dem die europäische
Idee nicht nur eine Verstandes-, sondern auch eine
Herzensangelegenheit ist. Und während der CDU-Politiker zu Hause
immer wieder mit unglücklichen bis unmöglichen Zitaten aufgefallen
ist, hört man jetzt sehr Durchdachtes, Nachdenkenswertes von ihm.
Günther Oettinger warnt vor den Risiken, die dem Industriestandort
Deutschland wegen der Energiewende drohen. Er kritisiert die
opportunistische Politik der CSU, wenn es um Pkw-Maut oder
Stromtrassen geht. Er warnt vor der Abhängigkeit von russischem Gas
und fordert eine unvoreingenommene Prüfung des umstrittenen
Frackings. Gleichzeitig weist er klar auf die Defizite der
Europäischen Union hin. Sie sei ein Sanierungsfall, hat er im
vergangenen Jahr gesagt. Erstaunlich für einen EU-Kommissar.
Günther Oettinger ist unbequem geworden – und hat deshalb an
politischem Gewicht gewonnen. Hart formuliert: Dass er nach Brüssel
entsandt wurde, war für Baden-Württemberg ein zu verschmerzender
Verlust. Aber für Deutschland wäre sein Ausscheiden aus der
EU-Kommission ein großer.
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