Schwäbische Zeitung: Schöne, neue Arbeitszeitwelt – Leitartikel zum Metall-Tarifabschluss

Die Warnstreiks mit Produktionsstopps bei
Daimler, Siemens und ZF haben Südwestmetall sichtlich beeindruckt.
Die Tarifgespräche waren zuletzt von der Befürchtung der Arbeitgeber
geprägt, dass die IG Metall sehr leicht auch Flächenstreiks durch
eine Urabstimmung bei den Beschäftigten durchbringen könnte – für den
Fall, dass die Verhandlungen erneut scheitern. Das gab der IG Metall
die Macht, ihr großes Ziel, den individuellen Anspruch auf eine
Reduzierung der Arbeitszeit auf 28 Stunden, durchzusetzen.

Mit ihrer Forderung hat die Gewerkschaft den Wunsch von vielen
Beschäftigten aufgegriffen, die selbstbestimmt über ihre Lebenszeit
verfügen wollen, die sich – vor allem in der Lebensmitte –
aufgerieben fühlen zwischen Beruf, Kindererziehung und womöglich der
Aufgabe, sich um ihre pflegebedürftigen Eltern zu kümmern: Die IG
Metall hat die Chance für ihre Mitglieder erkannt und die glänzende
Lage der deutschen Unternehmen für sich genutzt.

Dabei hat die IG Metall allerdings Verantwortungsbewusstsein
bewiesen, indem sie die Forderung nach einem Lohnausgleich bei
Reduzierung auf 28 Stunden für Schichtarbeiter oder Beschäftigte mit
Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen für eine Wahlmöglichkeit
aufgegeben hat: Geld oder mehr freie Zeit. Wer mehr freie Zeit
benötigt, muss auf Geld verzichten. Denn die finanzielle
Unterstützung von Menschen, die Pflege- und Kindererziehungaufgaben
übernehmen, ist nicht die Aufgabe der Wirtschaft, sondern des
Staates.

Vor diesem Hintergrund ist der Tarifabschluss nicht nur der
Einstieg in eine neue Arbeitszeitwelt, sondern auch ein fairer
Kompromiss: Denn die Arbeitgeber erhalten im Gegenzug für das Recht
auf eine 28-Stunden-Woche die Chance, mit mehr Beschäftigten
40-Stunden-Verträge zu schließen. Und auch die Lohnerhöhung von 4,3
Prozent werden die Unternehmen verkraften, zumal sie durch die
Laufzeit von 27 Monaten nun sehr lange Planungssicherheit haben.

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