Schwäbische Zeitung: Sehnsucht nach Gaddafi – Leitartikel zu EU-Gipfel

Es ist nur zu verständlich, dass die
europäischen Staats- und Regierungschefs – zumal vor sehr wichtigen
Wahlen in den kommenden Monaten – Lösungen für das finden wollen, was
man gemeinhin als Flüchtlingskrise bezeichnet. Nur sind die
Beschlüsse beim Treffen der 28 auf Malta weniger Lösungen als
Erste-Hilfe-Einsätze. Es braucht aber schwierige Operationen und
aufwendige Genesungsprogramme.

Der ehemalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und der
deutsche UN-Diplomat Martin Kobler haben in den vergangenen zwei
Jahren versucht, in Libyen so etwas wie eine funktionierende
Regierung herbeizuverhandeln und dabei zu helfen, eine
funktionierende staatliche Ordnung aufzubauen. Früher gab es in
Libyen einen Diktator. Den mochte man zwar nicht, mit ihm konnte man
sich aber darauf verständigen, dass Flüchtlinge, die von der
libyschen Küste über das Mittelmeer fahren wollten, von den libyschen
Sicherheitskräften daran gehindert wurden. Muammar al-Gaddafi ließ
sich diese Dienstleistung honorieren. Auch wenn es niemand beim
Gipfel auf Malta aussprechen würde, waren die Zeiten mit dem Diktator
für die europäische Flüchtlingspolitik wesentlich einfacher.

Es hat in den vergangenen Monaten immer wieder Überlegungen
deutscher, österreichischer und anderer europäischer Politiker
gegeben, etwa in Nordafrika große Flüchtlingscamps zu schaffen. Dort
sollten dann Fluchtwillige ihre Asylanträge stellen können. Solche
Vorschläge mögen bei manchem Wähler gut ankommen, sie sind aber ganz
und gar nicht umsetzbar in einem Land wie Libyen, das von
verschiedenen Milizen kontrolliert wird, und wo in Teilen die
Terrormiliz „Islamischer Staat“ ihr Unwesen treibt.

Schnellboote für die libysche Küstenwache bringen vor allem gute
Bilder. Aber wie stabilisiert man einen Staat, der zu kollabieren
droht, nur 400 Kilometer von der italienischen Küste entfernt? Jetzt
und in Zukunft wird es langfristige Konzepte brauchen, die mehr sind
als eine Notversorgung, wie sie jetzt auf Malta beschlossen wurde.

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