Der Riese Argos, der im Auftrag der
eifersüchtigen Hera die Geliebte des Zeus bewachte, muss ein ziemlich
grusliger Typ gewesen sein: Er hatte 100 oder noch mehr Augen, von
denen stets eine Hälfte schlief, während die andere wach war. Die so
entstandene Möglichkeit einer lückenlosen Überwachung brachte ihm den
Beinamen Panoptes ein – der Allesseher. Verglichen mit den
Allessehern, Alleshörern und Alleslesern der US-amerikanischen und
britischen Geheimdienste ist der Riese Argos aber ein ziemliches
Leichtgewicht. Das ist mit jeder neuen Enthüllung des Informanten
Edward Snowden leider noch deutlicher geworden.
Auch wenn zig Millionen deutscher Internetnutzer sich mehr oder
weniger bewusst damit arrangiert haben, dass aus ihren Aktivitäten im
Netz wertvolle Nutzerprofile erstellt und verkauft werden: Das Ausmaß
der Datensammelwut der amerikanischen NSA und des britischen GCHQ
muss empören, der Sicherheitsfetisch der angloamerikanischen
Geheimdienste zu Lasten unserer Bürger muss schockieren. Dass die
deutsche Politik angesichts dieses historischen Skandals über alle
Parteigrenzen hinweg nachdrücklich den Stopp dieses orwell–schen
Überwachungsszenarios fordert, ist demnach zunächst wenig mehr als
eine Selbstverständlichkeit.
Vor der anstehenden Bundestagswahl müssen die politischen Lager
vielmehr noch deutlicher erklären, welche gesetzlichen Befugnisse und
welche finanziellen Mittel sie den eigenen deutschen Geheimdiensten
für die Internetüberwachung künftig an die Hand geben wollen. Sie
müssen sagen, wie sie den schwierigen Spagat zwischen Sicherheit und
Freiheit zu schaffen gedenken. Denn es ist richtig und zeitgemäß,
wenn die Sicherheitsbehörden sich im 21. Jahrhundert auch und
verstärkt im Internet auf die Jagd nach Terroristen machen. Es ist
aber gleichzeitig grundfalsch, wenn sie dabei von übertriebenen
Ängsten oder Vorurteilen geleitet sind. Dann ist ein
Überwachungsexzess programmiert. Und der ist in einer offenen
Demokratie nicht hinnehmbar.
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