Schwäbische Zeitung: Verwirrte Volkspartei – Leitartikel zur SPD

Der Verzweiflung folgen die Ratschläge: Erst
analysiert Thorsten Albig die schlechte Lage seiner Partei, jetzt
gibt Peer Steinbrück wohlfeile Tipps, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel es
besser machen kann: Begeisterung wecken, eine Erzählung finden. Doch
für welche Wähler?

Gabriel hat sich entschieden. Die Wahlen werden in der Mitte
gewonnen, also führt der SPD-Boss die Wirtschaftsdelegation in den
Iran an, er erinnert an sozialdemokratische Unternehmer wie August
Bebel, positioniert die SPD wirtschaftsnah.

Andere – wie sein Vize Ralf Stegner – wollen viel lieber wieder
den Markenkern der SPD als Schutzmacht der kleinen Leute
herausstellen, den Kampf für mehr Gerechtigkeit führen und
Steuererhöhungen für Reiche nicht ausschließen- Stegner will das
Lager der enttäuschen Nichtwähler und Agenda-Geschädigten
zurückerobern.

Die Erfahrungen der Nachkriegszeit sprechen zunächst einmal für
Gabriels Rezept. Erfolg hatten immer sozialdemokratische
Kanzlerkandidaten, die auch CDU-Wähler ansprechen konnten – von
Helmut Schmidt bis Gerhard Schröder. Doch ihnen gegenüber standen
schwere konservative Gegengewichte: Helmut Kohl, Franz Josef Strauß,
Edmund Stoiber. Angela Merkel hat es hingegen verstanden,
sozialdemokratische Kernthemen zu kapern. Von der
Kindertagesbetreuung bis zum Mindestlohn.

Was also hat die SPD dem Wähler anzubieten, was die Union nicht
hat? Die Antwort fällt schwer, zumal Gabriel als wendiger Politiker
gilt, ganz gleich, ob es um Griechenlandhilfne oder
Vorratsdatenspeicherung geht. In dieser Situation „begeistert zu
bleiben, um andere begeistern zu können“, wie es schon Oskar
Lafontaine einst von der SPD forderte, ist fast unmöglich.

Die Partei ist, obwohl sie in der Regierung gute Arbeit leistet,
derzeit in der ziemlich verzweifelte Lage, nicht mehr auf Sieg,
sondern auf Platz spielen zu müssen. Sie muss das Ende der Ära Merkel
abwarten, wenn die CDU in eine ähnliche Lage rutschen könnte – etwas
verwirrt auf der Suche nach ihrem wahren Kern.

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