Christian Wulff hat die Herzen vieler Deutscher
gewonnen als Mann von nebenan. Als unkomplizierter Politiker, als
jüngster Präsident, den Deutschland je hatte. Mit seiner
Patchwork-Familie steht er ganz persönlich auch für neue und höchst
lebendige Lebensentwürfe, für die bunte Republik Deutschland, die er
sich bei seinem Amtsantritt gewünscht hat. Doch längst wird es
einigen zu bunt in Christian Wulffs Welt.
Gestern war wieder einmal ein unangenehmer Tag für den
Bundespräsidenten. Immer neue Enthüllungen setzen ihn unter Druck,
über jeden Zweifel erhaben ist er schon längst nicht mehr. Urlaub bei
schillernden Geschäftsfreunden, ein zinsverbilligter Kredit, den er
in seiner Position als Ministerpräsident gar nicht nötig hätte, die
Finanzierung einer Werbekampagne für sein Buch.
Und doch: Es darf hier nicht um juristische Spitzfindigkeiten
gehen, was genau ein Ministergesetz in Hannover an Krediten zulässt
und was nicht, es sollte auch um das einfache Gefühl von Anstand
gehen. Wie sehr kann man als Ministerpräsident Freundschaftsdienste
annehmen, Vergünstigungen ausnutzen, ohne dabei seine Vorbildfunktion
einzubüßen? Prüft man diese Fragen, so bleibt am Ende das Bild eines
ehemaligen Provinzfürsten Wulff, der sich vielleicht zu sehr in der
Nähe von Macht und Geld gesonnt hat. Der über sein Amt ein bisschen
den Instinkt dafür verloren hat, was mit seinem Image vom netten
Herrn von nebenan noch vereinbar ist und was nicht.
Und trotzdem: Viele kleine Sünden werden augenzwinkernd
nachgesehen, wenn – ja, wenn – der Sünder zu seinen Fehltritten
steht. Und wenn nicht täglich neue Erkenntnisse kommen.
Richtig ist, dass gegen Christian Wulff eine Boulevard-Zeitung
mittlerweile fast eine Art von Kampagne führt. Tag für Tag
häppchenweise neue Enthüllungen. Richtig ist aber auch: Für den
Erhalt der Würde des Amtes ist nicht nur der Kritiker zuständig,
sondern vor allem der Amtsinhaber selbst.
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