Schwäbische Zeitung: Zu der Wahl in der Türkei: Ein Reinfall als Chance

Diese Zahl sollte man sich merken: 8,1. So viel
Prozent der in Deutschland wahlberechtigten Türken haben ihre Stimme
für die anstehende Präsidentschaftswahl in der Türkei abgegeben. Das
ist einerseits ein Reinfall für den Kandidaten Erdogan. Es zeigt aber
andererseits auch, dass es offenbar um die Integration der hier
lebenden Türken gar nicht so schlecht bestellt ist.

Sicherlich spielten auch die weiten Wege zu den Wahllokalen eine
Rolle, und es gibt unter den hier lebenden Türken auch Menschen, die
einfach nicht wählen wollten. Doch damit allein lässt sich die
niedrige Beteiligung nicht erklären. Vielmehr ist der Großteil der
Türken in Deutschland offenbar bereits derart integriert, dass diesen
Menschen die Politik in ihrem Herkunftsland reichlich egal ist.
Zumindest so egal, dass es sich nicht lohnt, dafür auch noch weite
Strecken auf sich zu nehmen. Die Mehrheit der Türken in Deutschland,
die hier ganz normal arbeitet und Steuern zahlt, interessiert die
deutsche Politik schlichtweg mehr als die türkische, und das aus ganz
pragmatischen Erwägungen: Wie hoch sind die Steuern? Wie steht es um
meine Rente? Kommt die Maut? Das alles sind Themen, die das tägliche
Leben der Menschen mehr und vor allem direkter beeinflussen als die
Frage, wer die Türkei regiert. Gerade viele junge Türken in
Deutschland kennen das Land ohnehin nur noch aus dem Sommerurlaub.

Für die deutsche Gesellschaft birgt diese Erkenntnis eine Chance.
Deutschland ist zwar kein Land von Einwanderern wie die USA, aber ein
Einwanderungsland. Wer die Spielregeln einhält, die das Grundgesetz
vorgibt, für den muss auch Teilhabe möglich sein. Deutschland sollte
deshalb auch die Möglichkeiten der Mitwirkung für Menschen stärken,
die (noch) keinen deutschen Pass besitzen und auch keine EU-Bürger
sind – etwa beim kommunalen Wahlrecht. Dass sie die Türkei politisch
nicht mehr sonderlich interessiert, haben die Türken bewiesen. Jetzt
liegt es auch am Angebot hierzulande, ihnen die Gelegenheit zu geben,
Deutschland demokratisch und freiheitlich mitzugestalten.

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