Im Schweinsgalopp
Am 8. Juli beginnt die Sommerpause des Bundestages. Bis dahin
bleiben gerade mal drei Sitzungswochen, um den Atomausstieg zu
besiegeln und die Wende zu einer Versorgung mit risikoärmeren
Energien zu vollziehen. Wer das nur ehrgeizig nennt, untertreibt
maßlos. Es droht eine historische Zeitenwende im Schweinsgalopp.
Machen wir uns nichts vor: Dieser epochale Umbau der Infrastruktur
verlangt der größten Volkswirtschaft Europas viel Mut, Umsicht und
Leistungskraft ab. Auch wenn inzwischen die Empfehlungen vieler
Experten vorliegen, sind die Konsequenzen des energiepolitischen
Paradigmenwechsels nicht schon bis in jedes Detail kalkulierbar. Es
wird in den nächsten zehn Jahren bis zur geplanten Abschaltung des
letzten Atommeilers in Deutschland immer wieder unangenehme
Überraschungen geben – ökologische, ökonomische und soziale. Die
Kosten-Nutzen-Rechnung für Wirtschaft, Staat und Bürger dürfte
vollständig erst nach dieser Frist zu ermitteln sein. Es gibt,
weltweit, keine Blaupause für die Abkehr von der Kernkraft. Die
Bundesrepublik schlüpft in die Rolle des Pioniers, begleitet von
guten Wünschen wie massiven Zweifeln nicht nur unserer europäischen
Nachbarn. Wenn der Beweis gelingt, dass der Ausstieg ohne Einbußen an
Sicherheit und industrieller Wettbewerbsfähigkeit sowie bei
sozialverträglichen Stromkosten zu organisieren ist, eröffnen sich
glänzende Perspektiven für den „Standort D“ – wenn nicht, haben wir
alle ein Problem. Die Bundeskanzlerin wäre daher gut beraten, eine
möglichst breite Zustimmung für ihr Konzept zu suchen, nicht bloß im
Parlament, sondern auch bei Interessenverbänden und in der
Gesellschaft. Angela Merkel braucht Mitstreiter über das
Regierungslager hinaus, weil sie die Energiewende ja nicht aus freien
Stücken betreibt, sondern in Folge äußerer Einflüsse und im
Bewusstsein eines politischen Mehrheitswillens, den die schwarz-gelbe
Koalition noch vor gut einem halben Jahr bei der Laufzeitverlängerung
für Atommeiler sträflich außer Acht gelassen hat. Der Kampf um die
Deutungshoheit über den einschneidenden Kurswechsel in der
Stromversorgung hat begonnen. Die Kanzlerin reklamiert die
Energiewende als Beweis ihrer Führungskraft und Lernfähigkeit für
sich (was freilich noch zu beweisen wäre angesichts des Widerstands,
der sich in der Wirtschaft formiert), Rot-Grün beansprucht das
Copyright für den Fahrplan zum Atomausstieg. Vor einem Konsens liegen
also noch viele Hindernisse.
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Lothar Tolks
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