Südwest Presse: Kommentar: Krankschreibungen

Den höchsten Krankenstand seit 20 Jahren meldet die
DAK. Das klingt dramatisch. Mehr Fehltage wegen seelischer
Erkrankungen: Haben sich Depressionen oder das Burn-out-Syndrom
endgültig zu Volkskrankheiten entwickelt? Und die zunehmenden
Rückenleiden: Ist unsere Gesellschaft im Jahresvergleich noch
unbeweglicher geworden? So einfach ist es nicht. Denn die
Krankenkurve hängt ein Stück weit auch immer von der konjunkturellen
Lage ab. In Zeiten der Rekorderwerbstätigkeit ist die Angst vor dem
Jobverlust nicht so groß wie in der Krise. Der Gang zum Arzt fällt
dann leichter. Mit Blaumachen muss das nichts zu tun haben, eher
kümmert man sich auch mal um die eigenen Belange. Der Schaden für die
Wirtschaft ist relativ: Wer eine Krankheit verschleppt, irgendwann
zusammenklappt und dann länger fehlt als wenn er sich gleich
krankmeldet, kommt seinen Arbeitgeber teurer. Auffällig bleibt der
Anstieg der psychischen Erkrankungen dennoch, denn er ist –
unabhängig von der Wirtschaftslage – konstant. Von einer Epidemie
kann zwar keine Rede sein, denn eine Enttabuisierung spielt hier
genauso eine Rolle wie konkretere ärztliche Diagnosen. Selbst die
Versorgung wirkt sich aus: Wo es viele Psychotherapeuten gibt, werden
auch mehr seelische Leiden festgestellt. Das allein erklärt jedoch
nicht, warum die Psyche so vieler Menschen streikt. Ein lange Zeit
verkanntes Problem ist nicht weniger ein Problem, nur weil es immer
mehr ans Tageslicht tritt.

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Südwest Presse
Ulrike Sosalla
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