Südwest Presse: KOMMENTAR · SPIONAGE

Großer Bruder

Dass die Amerikaner die Kommunikation von Millionen Bundesbürgern
abhören und dabei nicht einmal vor dem Handy der Bundeskanzlerin Halt
gemacht haben, ist seit dem letzten Sommer bekannt. Die Bemühungen
der vormaligen Bundesregierung, Washington zur Aufklärung der
Spionageaktivitäten in Deutschland zu drängen, waren halbherzig und
weitgehend erfolglos. Eine öffentliche Entschuldigung gegenüber
Angela Merkel hat US-Präsident Barack Obama schon gar nicht über die
Lippen gebracht. Die Hoffnung bundesdeutscher Sicherheitsbehörden,
sie könnten ihre amerikanischen Kollegen wenigstens dazu bewegen,
künftig auf die Ausspähung von Regierungsmitgliedern und
Spitzenpolitikern in Berlin zu verzichten, scheint sich nun ebenfalls
zu zerschlagen. Der große Bruder jenseits des Atlantiks denkt gar
nicht daran, sich auf Wunsch des kleinen Partners an der Spree in
seinen globalen Überwachungsbestrebungen einzuschränken. Die Empörung
in der neuen schwarz-roten Koalition über die Anmaßung der
Obama-Administration wächst. Es wird deshalb höchste Zeit, dass die
Kanzlerin Klartext mit dem Präsidenten redet. Was Washington seinen
Verbündeten in Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland seit
Jahren garantiert, muss auch für das deutsch-amerikanische Verhältnis
gelten: Unter Freunden gehört es sich nicht, sich gegenseitig
auszuspionieren. Wenn Obama zu diesem Prinzip nicht stehen will,
setzt er die Beziehungen zur Bundesrepublik einer schweren
Vertrauenskrise aus. Das kann so wenig in seinem wie im Interesse der
Kanzlerin liegen.

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Ulrike Sosalla
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