Der Eid ist geleistet – erstmals rückt nun mit dem
60-jährigen Muslimbruder Mohamed Mursi ein Zivilist auf den
ägyptischen Präsidentensessel, dessen Uniformerfahrung sich auf einen
einfachen Wehrdienst beschränkt. Die Rückkehr der Generäle in ihre
Kasernen dagegen ist auf unbestimmte Zeit vertagt. Der Oberste
Militärrat behält die wichtigsten Fäden in der Hand und dem Land am
Nil stehen viele Monate eines hässlichen politischen
Abnutzungskampfes bevor. Politische Sprengsätze lauern an jeder Ecke.
Niemand weiß, inwieweit Polizei und Sicherheitsdienste dem neuen
Staatschef überhaupt gehorchen. Die Armee hat sich per Dekret bereits
seinem Oberbefehl entzogen. Im Haushalt klaffen Milliardenlöcher. Der
Etat-Entwurf, den das ausscheidende Übergangskabinett hinterlässt,
sieht drastische Kürzungen der Benzinsubventionen vor – ein
Einschnitt, an dem sich schwere Revolten entzünden könnten. Ihren
künftigen Machtkampf mit dem Militär aber werden die Muslimbrüder nur
bestehen, wenn sie zu neuen Allianzen und wirklichen Kompromissen mit
nicht-islamischen Kräften bereit sind. Denn wer nach dem Vorbild des
alten Regimes einfach durchregiert, sobald er am Drücker ist, steht
schnell ohne politischen Flankenschutz da, wenn sich der Machtwind
plötzlich dreht. Eine Frau und einen Kopten versprach Mohamed Mursi
dem Volk als Vizepräsidenten. Beim neuen Regierungschef und Teilen
des Kabinetts will seine Partei anderen politischen Lagern den
Vortritt lassen. Die feierliche Stimmung in Kairo wird bald
verklungen sein. Und dann wird sich zeigen, was die Schwüre der
Muslimbrüder tatsächlich Wert sind.
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Lothar Tolks
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