Südwest Presse: Kommentar zum Arbeitsmarkt

Historisch muss man den Einschnitt nennen, den der
Rückgang der Arbeitslosenzahl im Oktober auf 2,945 Millionen
markiert: Damit ist die Arbeitslosigkeit am Ende einer Rezession
erstmals seit der Ölkrise 1973/74 geringer als vor Beginn des
konjunkturellen Rückschlages. Das deutsche Beschäftigungswunder kommt
nicht von ungefähr. Es hat zunächst mit der überragenden Stärke der
heimischen Exportwirtschaft zu tun, die am meisten von der schnellen
Rückkehr der Weltwirtschaft auf einen Wachstumskurs profitiert.
Sodann sind es die Tarifparteien, die sich den Lorbeer ans Revers
heften können: Moderate Lohnpolitik, flexible Beschäftigung mit Hilfe
von Arbeitszeitkonten und nicht zuletzt Lohnverzicht der
Beschäftigten in der Krise zum Zwecke der Sicherung der
Arbeitsplätze. Zahllose Unternehmen – die mittelständischen vorneweg
– nahmen überdies auch tiefrote Bilanzen in Kauf. Dessen ungeachtet
war es der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder, der um den
Preis der vorzeitigen Abwahl mit seiner Arbeitsmarktpolitik –
Stichworte: Agenda 2010 und Hartz IV – für die Reformen am
Arbeitsmarkt gesorgt hat, die Verkrustungen aufbrachen und so die
Beschäftigungschancen von Stellensuchenden massiv verbesserten. Dass
dies viel zu oft nur über einen Mini-Job oder um den Preis von
Löhnen, die zum Leben kaum reichen, oder allein über schlecht
bezahlte Leiharbeit funktioniert, ist unverändert ein
sozialpolitisches Ärgernis. Nicht zu vergessen ist schließlich neben
der aktiven Anti-Krisenpolitik der schwarz-roten Koalition
Merkel/Steinmeier die vom SPDArbeitsminister Olaf Scholz umgesetzte
Kurzarbeitsregelung. In der Krise war das ein entscheidender
beschäftigungspolitischer Notnagel. Trotz aller Erleichterung über
die sehr erfreuliche Entwicklung am Arbeitsmarkt, die so auch kein
Experte auf der Rechnung hatte, kann jedoch von eitel Sonnenschein
nicht die Rede sein. Dazu sind die Probleme noch immer viel zu groß:
Berücksichtigt man auch die etwa 1,5 Millionen Menschen, die von
einer der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesagentur für
Arbeit profitieren, dann sind noch immer 4,5 Millionen Bundesbürger
auf der Suche nach einer Stelle. Darüber hinaus kommt der Abbau der
strukturellen Arbeitslosigkeit vor dem Hintergrund einer
ausgesprochen dynamisch wachsenden Wirtschaft noch immer viel zu
schleppend voran. Die Hauptproblemgruppe unter den
Langzeitarbeitslosen, die über 50-Jährigen, hat der Aufschwung am
Arbeitsmarkt überhaupt noch nicht erreicht. Und ob der jüngste Befund
des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung auf Dauer Bestand
hat, wonach der Boom bei den unsicheren Arbeitsverhältnissen mehr ein
gefühlter als ein tatsächlicher ist, muss sich erst noch zeigen.
Schließlich geht aus der gleichen Statistik auch hervor, dass unter
den Berufseinsteigern, die fast nur noch Zeitverträge bekommen,
weniger als die Hälfte hernach auf eine unbefristete Stelle wechseln
kann. Anlass zur Zuversicht gibt hier allerdings die demografische
Entwicklung, die das Fachkräfteproblem beständig verschärft. Weil
Arbeitskräfte knapper werden, dürften zudem die Tage gezählt sein, in
denen die Arbeitgeber in Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften
auch wegen der hartnäckig hohen Arbeitslosigkeit eher leichtes Spiel
hatten. Es kann auch nicht auf Dauer dabei bleiben, dass einzig die
soziale Sensibilität von Managern, bei Bosch etwa, über das Ausmaß
der Beteiligung der Arbeitnehmer am Erfolg ihrer Unternehmen
entscheidet. Die Beschäftigten erwerben mit ihrer Leistung ein
eigenständiges Anrecht auf eine faire Erfolgsbeteiligung.

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Lothar Tolks
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