Südwest Presse: Kommentar zum BUNDESPRÄSIDENT

Joachim Gauck hat einen langen Anlauf genommen für
seine erste groß angekündigte Grundsatzrede als Bundespräsident, fast
ein Jahr. Und er hat sich ein ehrgeiziges Thema verordnet: Europa.
Weil er die Bundeskanzlerin öffentlich ermahnt hatte, den Bürgern
ihre Euro-Rettungsmaßnahmen besser zu erklären, weckte Gauck hohe
Erwartungen in seinen Vortrag. Daran gemessen ist der Bundespräsident
zu kurz gesprungen. Nicht zu widersprechen ist seiner Analyse, dass
sich Europa in einer Vertrauenskrise befindet. Das aber ist weder neu
noch originell. Richtig ist ebenso Gaucks Erkenntnis, dass die
Menschen in der EU zunehmend von einem Gefühl der Macht- und
Einflusslosigkeit ergriffen werden, dass sie Politikern misstrauen,
die weniger den eigenen Überzeugungen und Konzepten folgen, sondern
Getriebene der Märkte sind. Was aber bietet der Bundespräsident in
dieser Lage? Ein wenig Trost, aber keinen Ausweg. Wenn Gauck mehr
europäische Bürgerbeteiligung verlangt, müsste er schon sagen, ob er
darunter auch Referenden zu allen zentralen EU-Entscheidungen
versteht. Wenn sich der Präsident für europäische Solidarität
starkmacht, sollte er durchbuchstabieren, was das im Falle von
Griechenland, Zypern oder Spanien konkret heißt. Zum wiederholten Mal
das hohe Lied auf die Freiheit zu singen, ohne sich mit der
schwindenden Chancengerechtigkeit in Europa zu befassen, führt in die
Irre. Von Johannes Rau, einem Amtsvorgänger Gaucks, stammt der Satz:
„Wer Anstöße geben will, muss auch den Mut haben, anstößig zu sein.“
Genau daran mangelte es dieser Rede des Bundespräsidenten.

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