Südwest Presse: LEITARTIKEL · BUNDESWEHR

Schmerzhafte Notwendigkeit

Seit Monaten wird heftig spekuliert, jetzt steht es fest:
Baden-Württemberg kommt bei der Schließung der Bundeswehr-Standorte
mit einem blauen Auge davon. Trotzdem: Das Aus für die 10.
Panzerdivision mit ihren 1860 Dienststellen in Sigmaringen schmerzt.
Dafür bleiben die Heeresflieger in Laupheim und das Einsatzkommando
in Ulm. Den Soldaten an beiden Standorten werden Felsbrocken von der
Seele plumpsen. Dass es Sigmaringen erwischte, folgt der inhaltlichen
Logik der Bundeswehr-Strukturreform: In einer Einsatzarmee, die
schnell an jedem Punkt der Erde helfen oder auch in bewaffnete
Auseinandersetzungen eingreifen soll, benötigt man andere
Waffensysteme als in einer Truppe, die sich eingräbt, weil sie den
übermächtigen Feind aus dem Osten erwartet. Ähnliches gilt für die
Logistikregimenter, die nicht mehr so viele Soldaten transportieren
müssen und die Fernmelder, die keine Kabelrollen mehr brauchen, seit
es das Handy gibt. Deshalb werden vor allem diese Einheiten
gestrichen. Das ist keine Beruhigung für die betroffenen Regionen,
die Einwohner und Kunden verlieren, und schon gar nicht für die
Familien der Soldaten, die umziehen müssen. Auf der anderen Seite ist
eine sinnvolle Reduzierung der Bundeswehr ohne schmerzliche Eingriffe
nicht denkbar. Die überfällige Reform wäre zum Scheitern verurteilt,
richtete sie sich nicht nach den inhaltlichen Notwendigkeiten. Die
Bundeswehr ist eben kein Strukturförderprogramm. Fest steht auch:
Bayern hat es mit dem Verlust der Flieger in Penzing und
Fürstenfeldbruck deutlich härter erwischt als den Südwesten.
Schleswig-Holstein verliert sogar acht seiner 26 Standorte. Der
Abschied der Soldaten birgt auch eine Chance. Als die US-Army Anfang
der 90er-Jahre aus der riesigen Wiley-Kaserne in Neu-Ulm auszog,
drohte eine Brache. Heute existiert dort ein attraktiver neuer
Stadtteil, den niemand mehr missen möchte. Das war möglich, weil der
Freistaat half. Ähnliche Unterstützung brauchen die Kommunen, die nun
darauf warten können, dass der letzte Soldat abzieht. Die
Standortentscheidung war der politisch kniffligste Teil der
Strukturreform. Jetzt muss sie noch umgesetzt werden. Schwieriger als
die organisatorischen Fragen, die damit verbunden sind, sind die
inhaltlichen. Zwar hat die Bundeswehr durch das Ausscheiden der
Wehrpflichten heute schon fast die angestrebte Stärke von maximal 185
000 Mann erreicht. Aber der Aufbau der Truppe stimmt nicht. Junge,
hochtrainierte Fachleute werden sich nicht verpflichten, wenn der
Aufstieg weiter durch Soldaten blockiert wird, die die Unform schon
lange tragen und die noch in der alten Tradition verhaftet sind.
Deshalb versucht Verteidigungsminister Thomas de Maizière, die „alten
Jahrgänge“ durch finanzielle Anreize herauszukaufen. Ein umstrittenes
Verfahren, das viele Millionen Euro verschlingen wird. Noch
schwieriger ist die Frage, wie man es schafft, der Bundeswehr aus
Zeit- und Berufssoldaten einen ethisch und moralisch starken Überbau
zu verschaffen, der über jeden Zweifel erhaben ist. Nur wenn dies
gelingt, wird die Truppe in der Bevölkerung akzeptiert werden und das
Schlagwort vom Bürger in Uniform seine Gültigkeit behalten. Auch die
reformierte Bundeswehr ist nicht im Alleingang fit für die sich
abzeichnenden Aufgaben. Soll sie auch nicht sein. Sicherheits- und
Verteidigungspolitik wird immer mehr zu einer Aufgabe im europäischen
Rahmen. Aufgaben innerhalb der EU zu teilen bedeutet auch, die Kosten
zu reduzieren. Das Geld wird dringend für andere Aufgaben benötigt.
Der Prozess einer EU-Verteidigungspolitik steckt aber noch in den
Kinderschuhen. So gesehen ist nach der Reform vor der Reform.

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Lothar Tolks
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