Südwest Presse: LEITARTIKEL · CDU

Als die CDU vor bald 70 Jahren auf den Trümmern des
kriegszerstörten Deutschland gegründet wurde, entstand eine Partei,
die Konrad Adenauer zu ihrem Vorsitzenden erkor und ihre vorrangige
Bestimmung darin erkannte, die Macht des ersten Bundeskanzlers der
neuen Demokratie über möglichst lange Zeit abzusichern. Auch unter
Angela Merkel hält die Union an diesem Wesenskern fest: Sie ist –
trotz stark veränderter Rahmenbedingungen – jener konservative
Wahlverein geblieben, der sich ganz in den Dienst seiner Parteiführer
stellt, sofern deren Erfolg als Regierungschefs auf die eigene Partei
ausstrahlt und ihre Zukunft garantiert. Freilich ist es für eine
konfessionell geprägte Gesinnungsgemeinschaft wie die CDU heute
ungleich schwerer als in der Adenauer-Ära, die erforderlichen
Mehrheiten zu erringen. Damals gehörten 95 Prozent der Deutschen den
beiden christlichen Kirchen an, heute nur noch 59. Insgesamt
schwindet die Bindungskraft großer Organisationen, die digitale
Gesellschaft ist bunter geworden, neue Milieus haben sich
ausdifferenziert. In der Parteienlandschaft formieren sich
schillernde Bündnisse, die Wähler sind unkalkulierbarer und
flüchtiger als früher. In dieser Lage kann sich die CDU daher
glücklich schätzen, in Angela Merkel gleichsam einen Fixstern zu
haben, um den nicht bloß ihre Partei kreist. Dabei hält es die
Kanzlerin mit einem Satz von Adenauer, nach dem Politik darin
besteht, „den Zug der Entwicklung zu erkennen und danach zu handeln“.
Die Vorsitzende gibt so gut wie nie die Richtung selbst vor, sondern
schließt sich rechtzeitig der jeweils obwaltenden Strömung an und
erklärt diese zur einzig zielführenden. Als Hohepriesterin der
Alternativlosigkeit hat es die Kanzlerin inzwischen zu einer wahren
Meisterschaft gebracht, und einstweilen folgen ihr Parteifreunde wie
eine stabile Mehrheit der Bevölkerung auf diesem Weg. Doch birgt
dieses Alleinstellungsmerkmal für die CDU ein wachsendes Risiko. Die
hohe Zustimmung für Angela Merkel wird erkauft durch eine zunehmende
Unschärfe des Parteiprofils und den mangelnden Willen zu offenen
programmatischen Kontroversen. Es erscheint geradezu paradox in einer
Demokratie, die vom Wettkampf der Ideen und Konzepte leben soll, dass
die Abwesenheit von Streit zum parteiinternen Dogma erklärt wird –
und dass die Wähler offenkundig honorieren, wenn unterschiedliche
Positionen hinter Formelkompromissen verschwinden. Allerdings
bereitet der vage Modernisierungskurs der Chefin, den manche Kritiker
als platte Sozialdemokratisierung empfinden, der Union in der Fläche
erkennbare Probleme. Die Tatsache, dass die SPD an 14
Landesregierungen beteiligt ist, die CDU aber nur noch in vier
Ländern den Ministerpräsidenten stellt, spricht für sich. Mit der
Erosion der föderalen Machtbasis begann schon für andere Kanzler der
Anfang vom Ende. Die Merkel-CDU wird bisweilen als eine in die Jahre
gekommene Dame ohne Unterleib beschrieben, die ewige Kanzlerin als
Königin ohne Land. Das mag übertrieben klingen, aber der Niedergang
einiger Landesverbände und die Zerstrittenheit unter regionalen
Mandatsträgern gehören ebenso zum Gesamtbild der Union wie die
scheinbar unangefochtene Popularität ihrer Frontfrau. Zu einem klugen
Kopf passt kein kränkelnder Rumpf. Was nützt Angela Merkel auf Dauer
ihre Macht im Bund und auf der Weltbühne, wenn ihr Fundament bröckelt
und ihre parteipolitischen Standbeine wegbrechen?

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Ulrike Sosalla
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