Südwest Presse: LEITARTIKEL · DAIMLER

An der Spitze

Von Thomas Veitinger Siege, aber triumphiere nicht“, schrieb die
Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach. Daimler-Chef Dieter
Zetsche nimmt es sich zu Herzen. Fast 2,9 Millionen Fahrzeuge im
vergangenen Jahr verkauft. Profitabel gewachsen. Audi überrundet,
dicht am Erzrivalen BMW dran. Rekordzahlen. Zetsche könnte
triumphieren. Er hat das Boot Daimler wieder flott gemacht, gewendet
und so die eigene Position im Konzern zementiert. Aber Triumph liegt
ihm fern. Die Krönungsmesse fällt bei der Präsentation der
Jahresbilanz aus. Null Überheblichkeit. Nur ein einziges Symbol des
Sieges leistet sich der Vorstandschef: Er trägt im Gegensatz zu den
anderen Vorständen keine Krawatte. Das ist unüblich für eine solch
wichtige Veranstaltung – und hat nicht nur mit Weiberfasnacht zu tun.
Möglicherweise ist aber selbst dieses Zeichen dem Unternehmen
geschuldet. Denn Daimler soll sich ändern. Zetsche ruft eine neue
Führungskultur aus. Mitarbeiter werden sich in Gruppen zusammenfinden
und ohne Kontrolle des Vorstands die Hierarchie-Struktur,
Meeting-Kultur und Leistungsbewertung im Konzern überprüfen. Vorgabe:
Es gibt keine Vorgabe. Damit will Daimler US-Firmen kopieren, die bei
der Digitalisierung vorne liegen. Managementfehler durch
hierarchische Strukturen sollen vermieden werden. Volkswagen versucht
noch heute vergeblich, Patriarchat und lineare
Organisationsstrukturen abzuschütteln. Daimler lernt. Dies ist auch
ein Erfolgsgarant der vergangenen Jahre. Potenziale ausmachen, sie
heben und dabei möglichst flexibel, fokussiert und nach vorne
gerichtet vorgehen. Das hat in den vergangenen Jahren funktioniert.
Die Modellpalette wuchs, das Chinageschäft wurde bereinigt und
Altlasten wie der Schmiergeldskandal aufgearbeitet. Käufer sind
jünger geworden. Und jetzt? Reicht es, einfach mitzuschwimmen, immer
neue Modelle auf die Märkte der Welt zu bringen, auf weibliche Kunden
zu setzen und abzuwarten? Einfach weiter so ist keine Vision. Für das
laufende Jahr ist Zetsche nicht mehr so optimistisch. Auch, weil er
weiß: Es ist schwer, an die Spitze zu gelangen, aber genauso schwer,
an der Spitze zu bleiben. In China schrumpfen Margen, möglicherweise
lassen sich Verkaufsrekorde etwa bei Lastwagen nicht mehr erzielen.
Die Fahrbahn der Möglichkeiten für Daimler wird enger,
Innovationszyklen kürzer. Neue Modelle und Technologien binden
Potenzial. Die Stuttgarter haben sich breit aufgestellt: geografisch,
aber auch technisch. Sie halten an der Brennstoffzelle fest und
forschen an Batteriezellenfertigung, von der sich andere längst
verabschiedet haben. Das alles birgt Möglichkeiten, kostet aber viel
Geld. Dann ist da noch der Abgas-Skandal, der europäische Autobauer
erschüttert. Es ist nur zu hoffen, dass Daimlers schnell gemachte
Aussage, keine Leiche im Keller zu haben, zutrifft. Ansonsten wären
viele Ziele des Konzerns unerreichbar. Die neuen verschärften
EU-Abgasregeln belasten finanziell, könnten im anderen Falle aber
einen weiteren Schub verleihen: Technisch waren die Süddeutschen
schon immer groß – aber dachte man das nicht auch von VW? Zetsche hat
sehr vieles richtig gemacht. Wenn nun die Weltwirtschaft einbricht,
es Fahrverbote für Diesel gibt oder China nachhaltig schwächelt,
hinterlässt das Spuren, trifft jedoch auch Konkurrenten. Nach dem
Erntedankfest, das derzeit bei Daimler stattfindet, kommt
jahreszeitlich der Winter, aber auch irgendwann wieder der Frühling.
Die Saat ist bereits aufgegangen. Hoffentlich keine Leiche im Keller

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Ulrike Sosalla
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