Wer zahlt, schafft an
Als gute Vermittlerin, die mit frischen Impulsen und gesundem
Menschenverstand die stockenden Verhandlungen über die EU-Finanzen
vorangebracht habe, wurde Angela Merkel gefeiert. Das war nach ihrem
allerersten EU-Gipfel als Regierungschefin im Jahr 2005. Dem Londoner
Premier Tony Blair etwa konnte damals eine milliardenschwere Kürzung
des Briten-Rabatts abgetrotzt werden. Den Blair-Nach-Nachfolger David
Cameron hat die Bundeskanzlerin in der Nacht zum Freitag nicht ins
Boot gebracht. Dennoch geht auch der jüngste Gipfelkompromiss
vorwiegend auf ihr Haben-Konto. Denn das nach nächtlichem Ringen
verkündete Ergebnis entspricht ziemlich exakt der zuvor bereits in
Berlin abgesteckten Linie; clevererweise wurde dabei der derzeit
unverzichtbare Mitstreiter Nicolas Sarkozy schon mal eng eingebunden.
Unabhängig davon, dass es nicht gelang, alle Zögernden mitzunehmen:
Es wurde ein akzeptables und unter hochkritischen Umständen
erfreulich realistisches Ergebnis erzielt. Denn es wurden keine
weiteren Wolkenschlösser gebaut in Brüssel, sondern zunächst nur mehr
Zeit gewonnen, um die Wurzeln der Krise trockenzulegen. Das Signal
für die Finanzmärkte (und die über der taumelnden Union bereits
kreisenden Aasgeier der Spekulation) lautet: Wir sind trotz Krise
einigungsfähig, wir gehen die Schuldenproblematik weiter gemeinsam an
und nicht unter dem fatalen Motto „Rette sich, wer kann“. Das gilt
trotz der abermaligen britischen Extratour. Die wurde bereits auf
etlichen Feldern der Europapolitik erduldet und so gut verschmerzt,
dass es nach der ersten Aufregung fast keine Rolle mehr gespielt hat.
Die EU-Charta der Grundrechte gilt im Königreich nur mit
ausgeklammerten Sozialrechten, das Schengenabkommen zur Abschaffung
der Kontrollen an den Binnengrenzen mochte der Inselstaat nicht
mittragen und auch den Euro nicht einführen. Was Premier Cameron
allerdings mit seinem Veto dem Finanzplatz London an EU-Regularien
ersparen will, könnte übertroffen werden durch dessen weiteren
Bedeutungsverlust gegenüber der Eurozone. Ansonsten aber galt in der
Nacht von Brüssel durchaus die Devise: Wer zahlt, schafft an. Es
werden, wie von Angela Merkel als Vertreterin des größten
Nettozahlers der EU schon vorher verkündet, einstweilen keine
Euro-Bonds aufgelegt. Der Rettungsschirm ESM erhält auch keine
Kredite der Europäischen Zentralbank; sie würde ansonsten
südeuropäische Schrottanleihen durch Anwerfen der Notenpresse
finanzieren. Merkel hat – sicher gegen den Widerstand des Brüsseler
Establishments – auch durchgesetzt, dass kurzfristige Engpässe nicht
direkt von den EU-Institutionen, sondern über den Umweg IWF nach
dessen Regeln behoben werden. Gewonnen ist damit – außer Zeit – noch
nicht viel. Denn in wie viel Staaten der jetzt vereinbarte Vertrag
für mehr Haushaltsdisziplin tatsächlich verbindlich wird, ist offen.
Parlamente und Verfassungsgerichte müssen zustimmen, womöglich sogar
Referenden gewonnen werden. Und ob ein separater Vertrag des
Großteils der EU-Staaten rechtens ist zu einer Materie, die alle 27
im Lissabon-Vertrag geregelt haben, muss wohl der Europäische
Gerichtshof entscheiden. Bis dahin ist das Gipfelergebnis ein
politisches Signal, dass alle Euro-Staaten und die Mehrheit der
Nicht-Euro-Staaten in der EU willens sind, das Übel der
Staatsverschuldung durch Sparsamkeit und Verzicht zu bekämpfen und
nicht durch Aufblähung der Geldmenge oder Vergemeinschaftung der
Schulden. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Und Angela Merkel hat
zwar David Cameron nicht überzeugt – sie könnte jedoch als neue
Margaret Thatcher in die EU-Geschichte eingehen.
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