Südwest Presse: LEITARTIKEL · EZB

Nicht überm Rubikon

Von Helmut Schneider Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank
(EZB) eignet sich nicht für einen Glaubenskrieg. Den hat der
Europäische Gerichtshof vergangene Woche ohnehin entschieden und
EZB-Präsident Mario Draghi den Rücken gestärkt. Jetzt hat der
EZB-Chef den Weg frei gemacht für seine letzte und wirkungsvollste
Waffe: Kauf von Staatsanleihen. Es ist Draghis umstrittenster
Schritt. Ob er sein Ziel erreicht, ist unsicher. Aber unsicher ist
auch, ob das Ziel – die Stabilisierung des Euro – ohne diesen Schritt
erreicht würde. Kauf von Staatsanleihen bedeutet: Billiges Geld in
den Wirtschaftskreislauf zu schleusen in der Hoffnung, dass es die
Banken als billigen Kredit weitergeben. Aber Unternehmen investieren
nicht vorrangig deshalb, weil sie zinsgünstige Darlehen bekommen.
Ihre Investitionen hängen vom Vertrauen ab, ob die Umstände dafür
aussichtsreich sind. Das aber hat viel mit der Wirtschaftspolitik
eines Landes zu tun. Das Wechselspiel zwischen Geldpolitik und
Politik entscheidet, wie Draghis Waffe wirkt. Die vorwiegend
deutschen Traditionalisten unter den Finanzexperten sehen mit den
Staatsanleihekäufen den Rubikon überschritten. Es geht aber nicht um
die deutsche Sicht. Der Euro ist eine europäische Angelegenheit. Auch
theoretische Grenzziehungen sind nur bedingt möglich, weil es die
aktuelle Situation – extrem viel und extrem billiges Geld bei
gleichzeitig geringem Wachstum und sinkenden Preisen – noch nicht
gegeben hat. Es hat Versuche anderer Notenbanken gegeben, eine
Wirtschaftskrise so zu lösen, wie das die EZB jetzt wagt. In den USA
und in Großbritannien ist dieser Versuch geglückt, in Japan
gescheitert. Die dortigen Regierungen scheuten bis heute davor
zurück, ihre Bankenstruktur zu reformieren. Auch die Praxis bietet
keine Blaupause für einen Ausweg aus Draghis Dilemma. Dieses besteht
darin, dass das geldpolitische Steuerungsinstrument, der Leitzins,
bereits ausgereizt ist. Wie aber soll die Zentralbank einer drohenden
Deflation entgegenwirken? Droht bereits eine zerstörerische
Deflationsspirale oder muss man die extrem gefallenen Energiepreise
mitberücksichtigen? Wer kann voraussagen, wie lange der Ölpreis so
niedrig bleibt? Der Kauf von Schuldtiteln kann modifiziert werden –
im Volumen ebenso wie bei der Haftung, falls sie in vielen Jahren von
einem Land nicht bedient werden könnten. Die Tendenz ist klar: Die
Starken tragen die Schwachen mit. Auf diesem Prinzip fußen allerdings
jetzt schon die gemeinsame Währung und die politische Union in
Europa. Dieses Prinzip ist untrennbar mit der Verpflichtung der
schwachen Länder verknüpft, ihre politischen Strukturen wetterfest
für den Wettbewerb zu machen. Einige Südländer haben das gemacht und
fahren erste Erfolge ein. Bei anderen ist Reformunlust zu spüren. Die
Kardinalfrage der EZB-Politik ist nicht neu: Verleiten günstige
Zinsen die Schuldenstaaten dazu, ihre Reformanstrengungen
einzustellen, weil sie darauf wetten, dass Draghi sie nicht hängen
lässt? Die Antwort kann nur die Politik geben. Nicht allen scheint
das klar zu sein. Ein Blick in die Schweiz oder nach Moskau könnte
helfen. Dort haben die Zentralbanken mit Brachialmaßnahmen
eingegriffen. Das geht eine Zeitlang gut, weil Notenbanken Banken für
die Not sind. Sie kaufen Zeit, aber sie lösen keine Strukturprobleme.
Deshalb hat die EZB nicht die Grenze überschritten, von der es kein
Zurück mehr gibt. Nicht Draghi hat den Rubikon überschritten – das
können nur die politischen Reformverweigerer.

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