Gut getroffen
Volltreffer! Wenn die fünf Wirtschaftsweisen heute ihr neues
Konjunkturgutachten vorlegen, dann können sie stolz bilanzieren, dass
sie vor einem Jahr mit ihrer Prognose fast punktgenau richtig lagen:
Damals sagten sie für 2012 ein Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent
voraus. Tatsächlich werden es vermutlich 0,8 Prozent, so die
derzeitigen Schätzungen. Auch bei anderen zentralen Daten wie der
Entwicklung der Arbeitslosigkeit oder der Inflation waren ihre
Vorhersagen richtig. Diese Treffsicherheit ist erstaunlich angesichts
der massiven Turbulenzen von der Euro-Krise über die Energiewende bis
zur Entwicklung des Ölpreises. Die Schreckensszenarien, die immer
wieder an die Wand gemalt wurden und werden, sind glücklicherweise
nicht eingetreten. Zumindest noch nicht. Vor Übermut sollte die
Wissenschaftler allerdings schon der Blick zwei Jahre zurück
bewahren, als ihre Prognose deutlich zu pessimistisch ausfiel. Auch
die besten Rechenmodelle reichen eben nicht aus, die Zukunft exakt
vorherzusagen. Im wirklichen Leben spielen viel mehr Faktoren eine
Rolle als in der Theorie. Müssen wir uns die teuren Gutachten der
Fünf Weisen – und parallel der Wirtschaftsforschungsinstitute –
überhaupt leisten? Schließlich sitzen in den Ministerien jede Menge
qualifizierte Volkswirte, die eigene Konjunkturprognosen erarbeiten,
schon weil diese als Basis für den Bundeshaushalt des nächsten Jahres
gebraucht werden. Trotzdem ist die Frage mit einem klaren Ja zu
beantworten. Unabhängige Fachleute sind unverzichtbar, die der
Regierung ohne Rücksicht auf politische Vorgaben auf die Finger
schauen, und das nicht nur mit Einzelmeinungen, sondern mit geballter
Kompetenz. Erst das sorgt für das nötige Ansehen der Experten. Wie
gut es ist, dass unabhängige Wissenschaftler den „amtlichen“
Prognosen ihre Erwartungen gegenüberstellen, haben Jahre gezeigt, in
denen die Haushaltsplanungen auf viel zu optimistischen Annahmen
basierten. Läuft es dann schlechter, entstehen schnell
Milliardenlöcher, und kurzfristig lässt sich kaum gegensteuern. Es
ist ein Segen, dass sich Finanzminister nicht mehr so leicht trauen,
Schönrechnerei zu betreiben. Allein dies rechtfertigt die Kosten der
Gutachten vielfach. Zudem sind die Expertisen viel mehr als die
Prognose weniger Konjunkturdaten. Die Wissenschaftler analysieren
nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung und die Folgen der Politik.
Sie geben der Regierung auch sehr konkrete Handlungsempfehlungen –
und sie rühmen sich, damit die politische Entscheidungsfindung
merklich zu beeinflussen. Das ist richtig, aber nur die halbe
Wahrheit: Regelmäßig sucht sich die Politik die Punkte heraus, die
ihr ins Konzept passen. Der Rest landet schnell in der Ablage.
Beispielsweise fordern die Wirtschaftsweisen schon seit langem einen
Abbau von Subventionen und Steuervorteilen. Doch geschehen ist wenig.
Allerdings haben es Professoren mit ihren Empfehlungen auch einfacher
als Politiker. Letztere müssen viel mehr Aspekte berücksichtigen,
etwa soziale. Nicht zu vergessen die Erwartungen der Bürger und
Wähler. Gleichzeitig geraten die Wissenschaftler immer wieder an ihre
Grenzen, schon weil sie sich untereinander häufig nicht einig sind.
Da war es fast schon ein Wunder, dass die Fünf Wirtschaftsweisen vor
einem Jahr einen Schuldentilgungspakt für die Euroländer
vorgeschlagen haben, um allen eine langfristige Perspektive zu
bieten. In der Fachwelt wurde er viel diskutiert. Doch die Politik
hat hauptsächlich die Lösung kurzfristiger Probleme etwa mit
Griechenland im Auge. Das ist beklagenswert und doch verständlich,
zumal Wissenschaftler bis heute kein Patentrezept für die Euro-Krise
entwickelt haben. Damit sind selbst die Fünf Weisen überfordert.
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Lothar Tolks
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