LEITARTIKEL · MILCH
Auch nur eine Ware Darf Milch billiger sein als Mineralwasser? Mit
solchen Fragen appellieren die Bauern, die wieder weniger für ihre
Ware bekommen als nötig wäre, an eine Moral, der sich der Markt mal
wieder widersetzt. Der Markt und die Milchbauern – das ist eine
komplizierte Beziehung. Nach Jahrzehnten einer planwirtschaftlichen
EU-Agrarpolitik, die auch heute noch jedes Jahr 45 Milliarden Euro
unter dem Nährstand verteilt, darf die Gegenfrage gestellt werden:
Darf Landwirtschaft mit solchen riesigen Summen subventioniert
werden? Ein Missverständnis ist damit bereits ausgeräumt: Die
Milchbauern, die gerne ihre geballte Wut mit wirkmächtigen Aktionen
an der Politik abreagieren, werden gegen die Widrigkeiten
wirtschaftlicher Schwankungen abgeschirmt wie wenige Branchen. Das
kann mit strukturellen Umbrüchen (immer weniger Betriebe, immer mehr
Produktion) und ihrer besonderen Funktion als Landschafts- und
Umweltpfleger ein Stück weit gerechtfertigt werden. Zum Normalfall
aber darf es nicht werden, dass der Steuerzahler einschreitet, wenn
den Bauern die Milch bis zum Halse steht. Gegen die aktuellen
Nothilfen oder andere Formen von Geldspritzen ist jedoch nichts
einzuwenden. Missverständnis zwei: Schuld am sinkenden Milchpreis
sind weder die geizigen Verbraucher, noch die Handelsketten mit ihrem
angeblichen Preisdiktat. Schuld sind Europas Milchbauern schon
selber. Sie produzierten schon vor dem Ende der Quote mehr als
verkauft werden konnte. Was für den einzelnen Betrieb Sinn macht,
führt in der Summe zu den Milchseen der Vergangenheit und sinkenden
Preisen. Wie soll der Milchsee abgepumpt werden? Die Milchquote muss
jedenfalls in der Mottenkiste einer EU-Agrarpolitik bleiben, die
weder den Strukturwandel gebremst, noch Preisabstürze – der letzte
war vor fünf Jahren – verhindert hat. Produktionsmengen zu begrenzen
passt nicht in eine zusammenwachsende Weltwirtschaft. Übrigens: Fast
die Hälfte dessen, was die knapp 80 000 deutschen Milchbauern melken,
geht ins Ausland. An diesen Exporten hat die Landwirtschaft zuletzt
gut verdient. Dass diese Exporte plötzlich aus politischen Gründen
nach Russland und aus konjunkturellen Gründen nach China zurückgehen,
ist unternehmerisches Risiko, das jeder Industriebetrieb kennt. Das
kann der Staat den Landwirten auf Dauer nicht abnehmen. Abfedern tut
er es bereits mit der Abnahmegarantie von Milch unter einem Preis von
rund 22 Cent. Auch hier zeigt sich wieder die Ausnahmestellung,
welche die Landwirtschaft – zu recht oder zu Unrecht – genießt.
Missverständnis Nummer drei: Die Unterscheidung zwischen einer
Agrarpolitik, die auf Rationalisierung, Masse und Exportchancen setzt
und jener, die den bäuerlichen Kleinbetrieb propagiert, der mit viel
Aufwand für seine Bio-Kundschaft produziert, ist mehr Ideologie denn
Wirklichkeit. Natürlich haben sich Direkt- und ökologische Vermarkter
eine wachsende Nische erkämpft, in welcher die Kundschaft gerne
höhere Preise zahlt. Eine Massenbewegung oder gar eine Absicherung
gegen das Auf und Ab auf dem Weltmarkt ist es jedoch nicht – und wird
es auch nie werden. Die wertvolle Milch ist letztlich eine Ware, für
die der Verbraucher nicht mehr bezahlt als er muss. Die Milchbauern
werden sich, wie andere Unternehmen auch, mehr auf den Markt
einstellen müssen. Der zwingt sie momentan auf eine bittere
Durststrecke. Aber er wird auch wieder für höhere Preise sorgen. Wer
sonst? Die Politik kann das nicht – und soll es auch nicht. An den
Exporten hat die Landwirtschaft zuletzt gut verdient
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Südwest Presse
Ulrike Sosalla
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