Südwest Presse: LEITARTIKEL · SYRIEN

Rache ist keine Basis

Für Barack Obama ist der Fall klar – auch wenn die Entscheidung
ihm nicht leicht fallen wird. Aber der US-Präsident hat sich
festgelegt mit seiner Definition der „roten Linie“, die Syriens
Herrscher Assad nicht überschreiten dürfe, ohne einen Gegenschlag der
USA zu riskieren. Dahinter kann er nicht zurückfallen. Denn nicht
allein Obama, sondern die Großmacht USA und ihre Verbündeten würden
unglaubwürdig gegenüber den Diktatoren dieser Welt. Und gegenüber
allen Menschen, die in den arabischen Ländern und anderswo unter
ihnen zu leiden haben. Denn die können nur darauf hoffen, dass „der
Westen“ Werte wie Menschenrechte, das Recht des Einzelnen auf
Freiheit, Würde und Schutz vor Willkür nicht nur auf seinem Banner
stehen hat. Sondern sie verteidigt, wo sie offensichtlich mit Füßen
getreten werden. Obama hat, als er die vom syrischen Regime mit dem
Giftgaseinsatz überschrittene „rote Linie“ definiert hat, damals viel
Beifall erhalten. Manche rügten sogar, er habe damit zu lange
gewartet. Wer sich jedoch nicht so festgelegt hat wie der
US-Präsident, steht jetzt vor einem echten Dilemma. Es gibt kein
klares Ja und kein klares Nein in diesem Fall – auch nicht aus
deutscher Sicht. Die in unserer Verfassung verankerten Menschenrechte
und die christlichen Wurzeln, auf denen unsere Gesellschaft gründet,
verpflichten uns, vor Gräueln wie in Syrien nicht die Augen zu
verschließen. Wer es instinktiv vermeidet, die Bilder der mit Giftgas
umgebrachten Zivilisten genau anzuschauen, wer es nicht aushält, sich
das damit verbundene Leid unschuldiger Opfer auszumalen, wer sich
nicht mit dem längst herrschenden Elend in Syrien auseinandersetzt,
der hält bei der Debatte über die Konsequenzen besser den Mund.
Dennoch dürfen jetzt nicht die nur zu verständlichen Rachegelüste
Basis des Handelns sein. Ohne Zorn und Eifer muss man klar
feststellen: Die Versuche des Westens, in Afghanistan, im Irak und
anderswo in der Welt seine Vorstellung von Freiheit und
Menschenrechten, womöglich gar seine Vorstellung von Demokratie mit
Waffen durchzusetzen, sind im Großen und Ganzen gescheitert. Einiges
mag besser geworden sein, Teile der Gesellschaft dort mögen
persönliche Freiheit zurückgewonnen haben. Wohin sich Afghanistan und
Irak aber nach dem mehr oder weniger geordneten Abzug der westlichen
Soldaten entwickeln werden, weiß keiner. Wohl nicht in die Richtung
offener, demokratischer Gesellschaften nach unserem Bilde. Auch wegen
dieser Erfahrungen kommt eine dauerhafte Einmischung in den Krieg
syrischer Bürger gegen ihr Regime nicht in Frage. Doch schon der
bevorstehende punktuelle Militäreinsatz kostet den Westen einen hohen
Preis. Es wird militärische Reaktionen geben, noch mehr
Flüchtlingselend und neue Terroranschläge. Und es wird die
Überzeugung in der Welt wachsen, dass sich der Westen – insbesondere
der „Weltpolizist“ USA – im Zweifel um die Uno und das Völkerrecht
nicht schert. Gleichwohl: Die Diktatoren dieser Welt ziehen die
falschen Schlüsse, wenn sie für offensichtliche Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, für „moralische Obszönität“ nicht zur Rechenschaft
gezogen werden. Oder vielleicht erst irgendwann in Den Haag vor dem
internationalen Gerichtshof. Die Bundesregierung wird formell
vermutlich nicht gefragt, ob sie einem Vergeltungsschlag gegen Assad
zustimmt. Die Folgen aber wird Deutschland mitzutragen haben – schon
deshalb können wir uns der Auseinandersetzung nicht entziehen. Es ist
zu wünschen, dass sie nicht mit platten Parolen wie „Kein Krieg in
Syrien“ geführt wird. Denn das ist eine Verhöhnung der Opfer eines
dort längst erbittert geführten Krieges.

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Südwest Presse
Ulrike Sosalla
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