LEITARTIKEL zu AUTOBRANCHE
Ausgabe vom 23.09.2015 Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte
in den USA ist weitaus mehr als eine unangenehme PR-Geschichte für
den Wolfsburger Konzern. Diese Affäre trifft ihn finanziell bis ins
Mark, kostet Reputation und Vorstandschef Martin Winterkorn womöglich
den Posten. Doch abgesehen von den Wolfsburger Befindlichkeiten
bedeutet der Skandal einen gewaltigen Imageschaden für die gesamte
Autobranche – und das zu einer Zeit, in der sie sich selbst feiern
wollte. Schließlich pilgern gerade Tag für Tag Scharen von Besuchern
auf die IAA in Frankfurt, dem Branchentreff, auf dem es blitzt,
röhrt, mitunter auch qualmt. Auf dem vierrädrige, motorisierte
Neuheiten mit vielen Emotionen und großem Pomp in Szene gesetzt
werden. Die Feierlaune dürfte der Katerstimmung gewichen sein. Der
Verband der Deutschen Autoindustrie verschickt zwar weiter tapfer
Pressemitteilungen, in denen es um sensationelle Neuheiten auf der
IAA geht. Doch nun steht nicht die Modellvielfalt im Rampenlicht,
sondern die Glaubwürdigkeit der Autobauer – und zwar vor allem die
der deutschen. Volkswagen ist nicht irgendein Konzern. Er gilt schon
allein aufgrund seiner Größe – die Nummer eins in Europa – und seines
Namens als das Aushängeschild für den Marketingbegriff „Made in
Germany“. Die Fragen, die sich aus dem Skandal in den USA ergeben,
sind vielfältig und nicht nur für die Wolfsburger unangenehm: Wenn VW
in den USA manipuliert hat, wie steht es dann um die Validität der
Tests in Europa, Deutschland und dem Rest der Welt? Wenn VW die
Verbraucher getäuscht hat, ist das möglicherweise Usus in der
Branche? Wie sauber ist die viel gepriesene Dieseltechnologie, die
vor allem von den deutschen Marken repräsentiert wird? Wenn bei
Abgaswerten gefälscht wurde, wie steht es dann mit Sicherheitstests?
Die Antworten darauf kann VW allein nicht liefern, der Konzern kann
nur aufklären, was bei ihm schief lief – und damit dürfte er genug zu
tun haben. Die ganze Branche steht in der Pflicht. Sie muss
darstellen, wie sie was testet und zulassen, dass unabhängige
Experten Verfahren und Ergebnisse überprüfen. Vielleicht lässt sich
so endlich klären, bei welchen Abgasgrenzwerten die Fahrzeuge im
Alltag liegen. Denn die bisherigen Tests finden auf dem Prüfstand
statt, simulieren Fahrzyklen, die nicht die Realität widerspiegeln.
Das kann der Autofahrer zwar nicht beim Thema Abgas belegen, aber wer
hat jemals erlebt, dass der Kraftstoffverbrauch aus dem Prospekt mit
dem tatsächlichen übereinstimmt? Genau das prangern auch Umwelt- und
Verbraucherschützer seit langem an – und scheitern immer wieder an
denen, die entsprechende Vorgaben machen könnten: an den Politikern.
Diese tun sich mit allem schwer, was das Geschäft der Autobauer
beeinträchtigen könnte. Denn sie gilt aufgrund der vielen Jobs, die
an ihr direkt und indirekt hängen, als Schlüsselindustrie und hat
daher eine große Lobby. Deshalb zögert die Politik, wenn es um neue
Grenzwerte für Emissionen geht oder darum, deren Überschreitung zu
unterbinden. Zum Beispiel wird in Ballungsgebieten immer wieder mehr
Stickstoffdioxid gemessen als es laut Weltgesundheitsorganisation
zulässig wäre. Der Schadstoff soll Atemwegserkrankungen auslösen, die
tödlich enden können. Es ist höchste Zeit, die gesamte Autobranche
auf den Prüfstand zu schicken, in Deutschland, Europa, weltweit. Denn
Skandale wie der von VW zerstören das Vertrauen der Verbraucher – und
kosten letztlich auch Arbeitsplätze.
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Südwest Presse
Ulrike Sosalla
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