Ulm, Leitartikel zu Deutsche Bahn, Ausgabe vom
03.04.2012 Rüdiger Grube kommt mit dem ICE aus London, bequem und
superpünktlich. In Stuttgart mietet er sich ein Elektroauto von der
Bahn und lädt Winfried Kretschmann ein, um sich die Neubaustrecke
nach Ulm anzuschauen. „Kretschmann liebt dieses Projekt inzwischen“,
ist sich der Bahn-Chef sicher. Das ist seine Vision vom Frühjahr
2020, wenn die neue Unternehmensstrategie aufgeht, die er jetzt
präsentierte. Sie sei keine Revolution, meinte Grube mit der ihm
eigenen Zurückhaltung. Doch näher betrachtet ist sie der Abschied von
der Börsen-Bahn seines Vorgängers Hartmut Mehdorn. Dieser hatte
seinem großen Ziel der Kapitalmarktfähigkeit alles untergeordnet und
damit vieles ruiniert, von der Pünktlichkeit und der Zufriedenheit
der Kunden bis zum Engagement der Mitarbeiter. Drei Jahre nach der
Übernahme des Chefsessels steuert Grube das Staatsunternehmen
endgültig auf neue Gleise: Zwar hat er das nicht gerade bescheidene
Ziel, die Bahn zum weltweit führenden Mobilitäts- und
Logistikunternehmen zu machen, auch beim Gewinn. Aber er erweitert
den Horizont: Zur Qualität des Angebots treten als gleichwertige
Ziele die Zufriedenheit der Mitarbeiter und der Umweltschutz. Das
werden insbesondere die 190
Konzern allein im Inland beschäftigt. Denn unter ihnen ist die
Stimmung schlecht, wie erst im Herbst eine Umfrage ergab. Kein Wunder
angesichts der Probleme von der unzuverlässigen Zugflotte bis zur
Unpünktlichkeit, für die sie ständig den Kopf hinhalten müssen. Hier
das Ruder herumzureißen ist schwer, aber überfällig. Schon weil die
Bahn sonst nicht die nötigen Fachkräfte bekommt. Dabei exerziert
Grube vor, was sich angesichts der demografischen Entwicklung alle
Unternehmen auf die Fahnen schreiben müssen: Ohne große Anstrengungen
werden sie nicht mehr genug Mitarbeiter finden. Dabei zählt nicht nur
Geld, sondern auch der Ruf als Arbeitgeber und damit das
Betriebsklima. Auch die Vorreiterrolle beim Umweltschutz klingt
eigentlich selbstverständlich für ein Verkehrsunternehmen. Sie ist es
aber längst nicht. Wenn die Bahn etwa den Schienenlärm halbieren
will, dann kostet das ebenso Geld wie ein rasch steigender Anteil an
Strom aus erneuerbaren Energien. Und doch ist es die Voraussetzung
dafür, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen, ob im Personen- oder
Güterverkehr. Die ehrgeizigen Ziele sind bis 2020 nicht einfach zu
erreichen. Dafür sorgt schon die Abhängigkeit von vielen Mitspielern.
Etwa von der Bahnindustrie, die neue Züge wesentlich später und
schlechter abliefert als erhofft. Oder von der Politik, die in
vielfältiger Weise für die Rahmenbedingungen sorgt, angefangen bei
den Milliarden für den Netzausbau und die Instandhaltung. Die
Diskussion flammt immer wieder auf, ob das Netz von der übrigen Bahn
stärker getrennt werden sollte. Ob das wirklich für mehr Konkurrenz –
und damit für ein besseres Angebot – sorgen würde, ist offen. Im
Nahverkehr droht sie eher abzunehmen, weil die
Streckenausschreibungen immer aufwändiger werden und die Zahl
kapitalkräftiger Wettbewerber abnimmt. Im Fernverkehr gibt es auch 20
Jahre nach der Bahn-Privatisierung nur Ankündigungen von
Wettbewerbern, weil der Einstieg teuer und riskant ist, auch wenn die
Kunden von Konkurrenz profitieren würden. Bescheiden, aber ehrgeizig
– mit dieser Kombination tut Grube nach dem Rambo Mehdorn der Bahn
gut. Im Interesse aller Beteiligten ist ihm zu wünschen, dass er
Ökonomie, Soziales und Ökologie bis 2020 ins Lot bringt. Auch wenn
der heute 60-Jährige in acht Jahren längst nicht mehr Bahn-Chef sein
dürfte, genau so wenig wie der drei Jahre ältere Kretschmann
Ministerpräsident in Stuttgart.
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