Der Deutschland-Chef der Ratingagentur Standard &
Poor–s, Torsten Hinrichs, warnt vor den Folgen einer einseitigen
Konsolidierungspolitik für Europa. In einem Interview mit dem
Hamburger Magazin stern sagte der Finanzexperte, die Konzentration
aufs Sparen und den Fiskalpakt würden die Probleme allein nicht
wirklich lösen – im Gegenteil: „In der ganzen Diskussion kommen
Wachstumsimpulse zu kurz – sparen allein reicht nicht.“ Der Manager
warnte die Deutschen davor, ihre Erfolgsrezepte auf den Rest der EU
zu übertragen. Die „Prinzipien der schwäbischen Hausfrau“
funktionierten hierzulande sehr gut, aber es gelte eben nicht
pauschal: „Was für Deutschland gut ist, ist für Europa erst recht
gut.“
Nach der Analyse von Standard & Poors sind die Zinssätze für
europäische Krisenländer inzwischen viel höher, als die
Fundamentaldaten nahelegen. In Europa werde zurzeit übersehen: „Über
zehn Jahre lang waren wir in unserer Einschätzung viel konservativer
als die Finanzmärkte, heute sind wir viel positiver“, sagte Hinrichs.
Die Zinsunterschiede zwischen Deutschland und den Krisenländern seien
viel größer als die Unterschiede im Rating. Deswegen seien niedrige
Zinssätze für Länderanleihen „von den Daten her gerechtfertigt“.
Hinrichs wehrte sich in dem am Donnerstag erscheinenden Interview
gegen die vielfach geäußerte Kritik an den Ratingagenturen. Zu dem
Vorwurf, die Agenturen würden „angloamerikanische Interessenpolitik“
betreiben, sagt er: „Das sind Verschwörungstheorien, die durch
Wiederholung nicht wahrer werden.“ Standard & Poor–s würde nach
global einheitlichen Maßstäben arbeiten, die vor Ort von Leuten aus
dem jeweiligen Kulturraum umgesetzt würden, „in Europa also von
Europäern“. Der Manager wies auch die Kritik zurück, die
Ratingänderungen würden regelmäßig zur Unzeit veröffentlicht. „Wir
sind völlig apolitisch“, sagte Hinrichs. Die Agentur würde sich immer
dann zu Wort melden, wenn es neue Fakten gebe und das Rating-Komitee
darüber beraten habe. Nach der Entscheidung würden die betroffenen
Schuldner informiert und die Rating-Änderung erst zwölf Stunden
später veröffentlicht. Um die Ausschläge an den Finanzmärkten nicht
zusätzlich zu verstärken, würden die Ergebnisse jeweils erst
bekanntgeben, wenn die Börsen in Europa und den USA geschlossen
hätten.
Nach den Herunterstufungen der Bonität von Euro-Ländern werden die
Analysten von Standard & Poor–s laut Hinrichs zunehmend bedroht.
Bisher seien in den Publikationen der Agentur die Namen der Analysten
sogar mit Mailadresse und Telefonnummer veröffentlicht worden, auch
damit Kunden die Möglichkeit zur direkten Nachfrage hätten. „Bei den
Ratings der europäischen Länder sind wir aber davon abgerückt“, sagte
der Deutschland-Chef, „denn es gab nicht nur Anrufe interessierter
Investoren, sondern auch ganz andere, bis hin zu persönlichen
Bedrohungen“.
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